Oberhausen. AnnenMayKantereit reißen bei ihrem Konzert in Oberhausen von den Sitzen, aber bleiben auch durch nachdenkliche Töne in Erinnerung.
Liebe und Einsamkeit, Seenotrettung und Rassismus. Zwischen dem Alltag und unbequemen Realitäten bewegten sich AnnenMayKantereit am Donnerstagabend bei ihrem Konzert in der Oberhausener König-Pilsener-Arena. Damit rissen die Musiker die 10.500 Zuschauer immer wieder von den Sitzen – aber blieben auch mit nachdenklichen Tönen in Erinnerung.
Und dann kommen sie auf die Bühne. Nicht eingeflogen, nicht hochgefahren, sondern frei von Allüren. Sie, das sind Gitarrist Christopher Annen, Sänger Henning May, Schlagzeuger Severin Kantereit und Bassist Malte Huck. Ein verlegenes Winken, die Instrumente geschnappt – und mit einem „Guten Abend Oberhausen“ legen AnnenMayKantereit los.
AnnenMayKantereit: Vier Kölner Jungs von nebenan
Im Rampenlicht stehen in den nächsten anderthalb Stunden vier Kölner Jungs von nebenan. May streckt sich bei seinem Opener „Marie“ nach dem etwas zu hohen Mikrofon, ständig wandern die Hände zwischen Mikroständer und Körpermitte hin und her. Es bleibt ein bisschen Nervosität nach vielen Auftritten in ausverkauften Hallen – oder wie Christopher Annen es ausdrückt: „Vor ein paar Jahren haben wir noch im Druckluft gespielt, jetzt hier – das ist ziemlich krass.“
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Geblieben ist über die Zeit die musikalische Qualität: Die tiefe und raue Reibeisenstimme Mays geht live noch mehr unter die Haut als durch Kopfhörer, gerade wenn von Liebe und Gefühlen die Rede ist. Vielseitig wechselt der 28-Jährige zwischen Gitarre, Klavier und Melodica, während Schlagzeuger Severin Kantereit auf die Congas (Handtrommeln) umsattelt. Unterstützung erhalten AnnenMayKantereit von Jazzmusiker und Schulfreund Ferdinand Schwarz, der die Songs der Band mit seiner Trompete um eine Facette erweitert.
Wirkungsvolle Bühnenshow – mit kleinen Details
Ebenso wirkungsvoll unterstützt AnnenMayKantereit die Bühnenshow. Zum vierten Lied „Du bist anders“ öffnet sich der Vorhang hin zu einem nach hinten abfallenden weißen Blätterwald, mit dem die Band spielt. Darauf projizierte Animationen und wechselndes Licht verstärken die Stimmungen der Songs, exzellent setzt auch die Kameraführung die Musiker mit Groß- und Detailaufnahmen in Szene. Apropos Details: Es sind die kleinen Dinge wie ein Reisekoffer, auf dem May für „Vielleicht, vielleicht“ musiziert, die lächeln lassen.
Das Gesamtpaket aus Gesang und Auftritt schafft eine Verbindung zu den 10.500 Zuschauern in der Arena, die AnnenMayKantereit für viele nachdenkliche Töne nutzt. Die stärksten Momente des Abends reißen nicht unbedingt fröhlich kreischend von den Sitzen, sondern kommen leise daher und hallen umso lauter im Kopf nach.
Nicht alles für selbstverständlich nehmen – Demokratie inklusive
Etwa, wenn die Band mit „Weiße Wand“ betont, wie privilegiert sie aufgewachsen sind und dann eben nicht alles für selbstverständlich zu nehmen – die Demokratie inklusive. „Wir müssen Rassismus immer bekämpfen, wenn wir ihn sehen“, appelliert Christopher Annen.
Durchbruch 2016 mit „Pocahontas“
Das Quartett AnnenMayKantereit, bestehend aus Gitarrist Christopher Annen, Sänger Hennig May, Schlagzeuger Severin Kantereit und Bassist Malte Huck, gründete sich 2011 in Köln.
Ihren endgültigen Durchbruch schaffte AnnenMayKantereit mit dem Song „Pocahontas“ aus dem 2016 veröffentlichten Album „Alles nix Konkretes“. Zwei Jahre später legte die Band mit „Schlagschatten“ nach, dank hoher Verkaufszahlen erreichte die Platte Goldstatus.
Oder wenn AnnenMayKantereit ins Publikum eintaucht und für zwei Lieder auf ein Podest in der Hallenmitte wechselt. Nahbar machen sich die Musiker damit genauso wie ihre Themen: „Pia“ ist der Kapitänin Pia Klemp gewidmet, die mit ihrem Schiff „Iuventa 10“ im Mittelmeer um Menschenleben kämpft.
Zugabe entlässt die Fans mit einem Lächeln
Und so ist nach 18 Songs zwischen Alltag und unbequemer Realität Schluss. Die Applaus ist groß, aber die Stimmung gedämpft – weshalb die Jungs aus Köln für die Zugabe nochmal aufs Gaspedal drücken. „Barfuß am Klavier“ reißt das Publikum ebenso mit wie „Ich geh heute nicht mehr tanzen“, bei dem die Halle eben doch tanzt. Um 22.31 Uhr verlassen AnnenMayKantereit die Bühne zum zweiten Mal – um für eine allerletzte Extrarunde zurückzukehren. „Ausgehen“ stellt endgültig sicher: 10.500 Menschen verlassen die Arena mit einem Lächeln.