Neu im Kino: Regisseur Robert Schwentke erzählt in „Der Hauptmann“ eine wahre Geschichte aus den letzten Tage des Zweiten Weltkriegs

Die Angst vor dem Tode und die unbändige Gier nach Leben – beides spiegelt sich in fassbarer Intensität im Gesicht des jungen Soldaten, der von seinen eigenen Leuten mit Gewehrschüssen durchs Feld gehetzt wird. Keine Chance lassen sie ihm zu entkommen, und doch gelingt ihm genau das. Und dann ist Soldat Herold allein, macht sich auf den Weg nach Hause. Am Straßenrand findet er eine verwaiste Wehrmachtlimousine, im Innern ein paar Lebensmittel und eine Offiziersuniform.

Schwentkes Regie-Comeback

Herold zögert nicht. Er kleidet sich neu ein und merkt schon bald, dass seine neue Existenz ihm Macht über andere Menschen verleiht. Herold muss aber auch erkennen, dass mit dieser Macht eine beinah unantastbare Sicherheit einhergeht, die sich aber nur dann aufrechterhalten lässt, wenn Herold bereit ist, das System zu bedienen, vor dem er doch eigentlich davongelaufen war.

Nach einer wahren Begebenheit aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs adaptierte Robert Schwentke das Drehbuch für sein deutsches Regie-Comeback. Nach zwei viel versprechenden Filmen („Tattoo“ 2002 und „Eierdiebe“ im Folgejahr) war der gebürtige Stuttgarter 2004 nach Hollywood gegangen und schien nach den Kassenhits „Flightplan – Ohne jede Spur“ und „R.E.D. – Älter, Härter, Besser“ der legitime Nachfolger von Wolfgang Petersen und Roland Emmerich.

Schwarzweiß-Ästhetik

Der Misserfolg von „R.I.P.D.“ und enttäuschende Erfahrungen mit der Young-Adult-SciFi-Reihe „Die Bestimmung“ führten Schwentke zurück nach Deutschland, wo er nun einen Film realisierte, dessen technische Könnerschaft hiesige Konkurrenz klein und hilflos aussehen lässt.

„Der Hauptmann“ präsentiert in gestochen scharfer Schwarzweiß-Ästhetik ein Deutschland kurz vor der Stunde Null, in dem jegliche Vorstellungen von Moral und Anstand einer bedingungslosen Selbstbezogenheit gewichen sind und jeder für den eigenen Vorteil bereit ist, über Leichen zu gehen. Schwentkes Regiestil ist radikal und ohne falsches Pathos und erinnert nicht selten an die Inszenierungen des großen Bernhard Wicki und besonders an dessen Meisterwerk „Die Brücke“. Aber wo bei Wicki die Gewalt wie eine Lawine über die jungen Protagonisten hinwegfegte und alles zerstörte, da ist sie bei Schwentke wie ein Rauschmittel, das auch den Bravsten zur Bestie werden lässt.

Die hochklassige Formgebung und ein beeindruckend geführtes Schauspielerensemble, das neben dem Aufsehen erregenden Max Hubacher in der Titelrolle mit Milan Peschel, Frederick Lau und Alexander Fehling profunde Prominenz aufbietet, bescheren Momente von bestürzender Intensität.

Keine Ebene der Reflexion

Umso bedauerlicher ist es, dass Robert Schwentke über die bizarre Fallstudie hinaus keine Ebene der Reflexion bereit hält. Dass der Mensch zu allem fähig ist, das erfährt man auch täglich aus den Nachrichten.