Kassel. Der Abschlussbericht zum Antisemitismus-Eklat auf der Documenta liegt vor. Kritik an der Verantwortungsstruktur und unzureichender Vorbereitung.

Der Aufsichtsrat der Documenta hat den Abschlussbericht der fachwissenschaftlichen Begleitung zum Antisemitismus-Skandal vorgelegt. Danach besteht in dem Gremium unter dem Vorsitz der Frankfurter Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff Einigkeit darüber, dass vier Werke auf „antisemitische visuelle Codes verweisen oder Aussagen transportieren, die als antisemitisch interpretiert werden können beziehungsweise interpretiert werden müssen“.

Die Weltkunstausstellung fand vom 18. Juni bis 25. September 2022 in Kassel statt. „Eindeutige visuelle antisemitische Codes“ finden sich laut Bericht in „People’s Justice“ von Taring Padi und einer Zeichnung von Naji al-Ali, die in den „Archives des luttes des femmes en Algérie“ dokumentiert ist.

Die Werke „Tokyo Reels“, „Guernica Gaza“ und weitere Zeichnungen und Landkarten in den „Archives des luttes des femmes en Algérie“ könnten zudem „als antisemitisch im Sinne eines israelbezogenen Antisemitismus interpretiert werden“. Dagegen seien die Einschätzungen bezüglich der Zeichnungen Burhan Karkutlis in den „Archives“ und „Guernica Gaza“ nicht ganz deckungsgleich. Eine Interpretation als antisemitisch erscheine jedoch auch hier gut begründbar.

Die Reaktionen waren dem Ernst der Lage nicht angemessen

Nach dem Bericht „traf der sich lange ankündigende Konflikt um Antisemitismus intern auf unzureichende Vorbereitungen“. Klare Verantwortungsstrukturen hätten gefehlt, die Reaktionen der künstlerischen Leitung und der Geschäftsführung seien dem Ernst der Lage nicht angemessen gewesen.

Dabei hätten öffentliche Kulturinstitutionen die Pflicht, sich mit antisemitischen Vorfällen auseinanderzusetzen. „Dieser Pflicht steht die Kunstfreiheit nicht entgegen.“

Die zögerliche Reaktion sei für die jüdische Community verstörend gewesen.

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Als Konsequenz schlägt das Gremium etwa eine Verständigung auf Definitionen für und Standards des Umgangs mit Antisemitismus und anderen Formen der Diskriminierung vor sowie eine Stärkung der inhaltlichen Kompetenzen der Geschäftsführung. Auch müsste der Aufsichtsrat um Mitglieder aus dem Kunst- und Kulturbereich erweitert und werden und ein Beschwerdemanagement installiert.

Die Vorschläge und Empfehlungen sollen in die Untersuchung einfließen

Der Kasseler Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende Christian Geselle (SPD) und seine Stellvertreterin, die hessische Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), nannten den Bericht eine „fundierte und tiefgreifende Analyse“. Der Aufsichtsrat begrüßte vor allem die „klare Einordnung der kritisierten Kunstwerke und die Hinweise zum Spannungsfeld zwischen grundgesetzlich geschützter Kunstfreiheit und verantwortlichem Umgang mit antisemitischen Darstellungen in diesem Zusammenhang“.

Die Vorschläge und Empfehlungen sollten in die Organisationsuntersuchung einfließen.