Marl. Marls Skulpturenmuseum hängt in der Luft: Aus dem „Glaskasten“ seit einem Jahr ausgezogen – und nun verhindert der Stadtrat das neue Quartier.
In Zeiten, da auch viele Menschen in Marl jeden Cent umdrehen müssen, mag es Politikern schwerfallen, mal eben sieben Millionen Euro Zusatzkosten für einen Umbau zu bewilligen. Und so hat es eine knappe Mehrheit im Stadtrat kurz vor Weihnachten dann auch nicht getan, zwei Mal binnen einer
Woche. Die Folge: Das Skulpturenmuseum der Stadt, das als eines der 21 Ruhrkunstmuseen Ansehen genießt, ist ohne Obdach. Die Sammlung mit international hochrangigen Werken, die Kunstfans in der ganzen Republik ein Begriff ist, bleibt auf unabsehbare Zeit in Depots des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe in Münster eingemottet. Und Museums-Chef Georg Elben ist verzweifelt.
Die Geschichte des obdachlosen Skulpturenmuseums beginnt mit seinem Auszug aus dem legendären „Glaskasten“ im Erdgeschoss des Rathauses, einer Architektur-Ikone der 70er-Jahre, die derzeit für 87 Millionen Euro (ursprünglich 44,6 Millionen) saniert wird. Der „Glaskasten“ war eine deutschlandweit einmalige, republikweit bekannte Einrichtung: Ein Skulpturenmuseum im Erdgeschoss des Rathauses mit komplett gläsernen Wänden, in dem man die Kunst auch dann sehen konnte, wenn das Museum zu war. „Aber wir hatten auch kein Foyer, keine vernünftige Garderobe, keine Räume für Museumspädagogik, keine Barrierefreiheit – und auch keine Klimatisierung,“ sagt Georg Elben. Deshalb bekam das Museum auch nicht jede gewünschte Leihgabe.
Videokunstausstellung mit den Skulptur Projekten Münster
So willigte Elben denn in eine Umzug ein, als für die längst fällige Sanierung der beiden Rathaus-Türme zusätzliche Fördergelder beschafft werden konnten; Bedingung für die Gelder war, dass der „Glaskasten“ vom Museum zu einer Begegnungsstätte für Menschen aus Marl, für Vereine und Initiativen umgebaut wird.
Als neues Zuhause für das Skulpturenmuseum war bereits eine renovierungsbedürftige, denkmalgeschützte Schule ausgeguckt, die fast „um die Ecke“ liegt, am Rande eines ehemaligen Friedhofs, auf dem es bereits wichtige Skulpturen gibt. Die 1966-68 nach Plänen des Marler Stadtplaners und Architekten Günther Marschall errichtete Schule war zuletzt zum Flüchtlingsheim umgebaut worden. 2017 wurde sie erstmals als Kunst-Ort erprobt: „The Hot Wire“ (der heiße Draht) bot in Zusammenarbeit mit den „Skulptur Projekten Münster“ Videokunst, für die sich die Klassenraum-Struktur der Schule hervorragend eignete. 80 Studierende aus Marl, Köln, Dortmund, Münster und Kassel) machten den Bau mit einer Sommerakademie zu einem vorübergehenden Studien- und Ausstellungsort.
Marschall 66 soll aus einem denkmalgerechten Umbau hervorgehen
Genau das soll aus der Schule nun wieder werden: Neben dem Skulpturenmuseum soll dort auch die Stadtbibliothek einziehen, deren jetziges Domizil im „Marler Stern“ stark sanierungsbedürftig ist. Auch die
örtliche Volkshochschule und die Musikschule sollen hier Veranstaltungen anbieten – ein neues Kulturzentrum im Herzen der Stadt würde so entstehen. Kulturdezernentin Claudia Schwidrik-Grebe, die auch die Ressorts Arbeit und Soziales, Jugend, Schule, Sport und Weiterbildung verantwortet, sieht in der Kombination eine einmalige Chance.
Die Pläne für einen – denkmalgerechten – Umbau unter dem Titel „Marschall 66“ liegen längst ausgefeilt vor, das Recklinghäuser Architekturbüro Feja + Kemper hat zusammen mit dem städtischen Bauamt und Museumsdirektor Georg Elben ganze Arbeit geleistet. Die Finanzierung steht eigentlich auch: 5,4 Millionen Euro kommen vom Bund, weitere 5,5 Millionen vom Land, die Stadt Marl zahlt auch 5 Millionen. Das heißt: Die Finanzierung stand. Bis sich, nach nunmehr zweijähriger Verzögerung des Baubeginns, unter anderem durch die Prüfung der Pläne durch die Oberfinanzdirektion, herausstellte, dass die Kostenkalkulation wegen der aktuellen Baupreis-Steigerungen nicht mehr zu halten war. Nötig wurden weitere 7 Millionen Euro.
Bürgermeister Werner Arndt widersprach dem Ratsbeschluss
Die sollte der Rat der Stadt eigentlich am 15. Dezember des vergangenen Jahres bewilligen. Und obwohl der agile, oft vorausschauend handelnde Bürgermeister Werner Arndt (SPD) für die Genehmigung dieser Kostensteigerung plädierte, lehnte eine Mehrheit von Ratsleuten sie ab. Werner Arndt versuchte es mit einer Notbremsung nach Paragraf 54.1 der NRW-Gemeindeordnung: Damit kann ein Bürgermeister einem Ratsbeschluss widersprechen, „wenn er der Auffassung ist, dass der Beschluss das Wohl der Gemeinde gefährdet.“ Eine Woche später wurde über die Vorlage der Stadtverwaltung erneut abgestimmt – und wieder gab es eine mehrheitliche Ablehnung.
Damit wird das Marler Skulpturenmuseum, dem sich auch viele renommierte Künstler wie der Düsseldorfer Mischa Kuball verpflichtet fühlen, auf unabsehbare Zeit obdachlos; ein höchst provisorischer Zwischen-Standort in drei abrissreifen Klassenräumen einer Schule am Stadtrand ist nur ein prekäres Provisorium, auf das sich Museums-Chef Georg Elben mit einer Mischung aus optimistischer Flexibilität und Experimentierfreude eingelassen hat.
Marschall 66 sollte junge Familien anlocken – Investoren fragen besorgt
Über die Beweggründe der Ratsleute für die Ablehnung darf gerätselt werden. Mit der Sache können sie eigentlich nichts zu tun haben. Denn die Entscheidung wird die Stadt in Zukunft teuer zu stehen kommen: Die Sanierung der Stadtbibliothek ist ohnehin fällig. Und wegen des Denkmalschutzes muss auch das Schulgebäude an der Kampstraße unweigerlich saniert werden. Das Problem dabei: Die Zuschüsse von Bund und Land sind an die bisherigen Planungen gebunden.
Hinzu kommt: In der Nähe der zum Kulturzentrum „Marschall 66“ umgebauten Schule ist ein Neubaugebiet geplant, das junge Familien ins Marler Zentrum locken sollte – mit der Nähe zum Skulpturenpark und den Bildungseinrichtungen Museum, VHS und Musikschule im „Marschall 66“. Investoren für dieses Neubaugebiet sollen schon besorgt bei der Stadtverwaltung angefragt haben, ob denn aus dem Umbau der alten Schule nichts und sie dort nun jahrelang zu einer Bauruine verfallen wird.