Essen. Ein „gegenseitiges Verhängnis“: Der Briefwechsel von Max Frisch und Ingeborg Bachmann gibt Einblick in ihre Beziehung – und ihre Literatur.
Das Traumpaar der deutschen Nachkriegsliteratur schlitterte schon bald auf eine Achterbahn zwischen Himmel und Hölle, so viel war bereits bekannt über die leidenschaftliche Liaison zwischen der Österreicherin Ingeborg Bachmann und dem Schweizer Max Frisch. Ihr nun veröffentlichter Briefwechsel zeigt: An der Literatur hat es nicht gelegen. Im Gegenteil.
Die Saat dieser Liebe legt im Sommer 1958 ein bewundernder Brief von Frisch (47) an die 15 Jahre jüngere Kollegin, der sich nicht erhalten hat – auf den aber antwortet Ingeborg Bachmann, und damit setzt der Briefwechsel für uns jetzt ein, nicht nur dankbar, sondern enthusiastisch auf ein Treffen in Zürich drängend (auf dem Umschlag steht in roten Buchstaben „EXPRESS“): Sie könne auf dem Weg nach Paris „zwei, drei oder vier Tage bleiben“. Aber Frisch ist in Spanien, sie treffen einander fast einen Monat später in Paris. Und da schon schreibt Frisch: „Was ist los? Ich warte und bange. Kein Zeichen. Hast Du es schwer durch mich? Ich bleibe bis Montag in Paris und werde nicht aufhören zu hoffen, dass ich Dich sehe. Warum machst Du das?“
Einander alles geschenkt
Während bisher, nicht zuletzt durch biografisch banalisierende Lesarten von Bachmanns „Malina“-Roman, Frisch als der fatale Verführer galt, der mit der Trennung nach vier Jahren die seelische Zerrüttung seiner Geliebten auf die Spitze und sie in Alkohol- und Tablettensucht trieb, so erkennt man nun: Die beiden haben einander nichts geschenkt. Oder vielmehr: Sie haben einander fast alles geschenkt, das Gute wie das Schlechte, Eifersucht und Großzügigkeit, Missgunst und Bewunderung, Liebe und Zorn. Die Brief-Herausgeber Thomas Strässle und Barbara Wiedemann nennen es „gegenseitiges Verhängnis“.
Nur in einem waren sie ein echtes Paar durch und durch – sobald es um Literatur ging. Max Frisch: „Ich wünsche mir, dass etwas entstünde, was ich Dir zeigen könnte, und ich möchte lesen, was Du machst, was Du versuchst, was Du verwirfst, was Du gelten lässt. Und so wird es immer sein, Ingeborg; auch wenn ich nichts mehr von Dir vernehme als Gedrucktes, was jeder vernimmt.“ Bachmann sekundiert Frisch bei seiner Arbeit an Büchern, „Andorra“ zunächst und „Mein Name sei Gantenbein“ zuletzt, jenem Roman, deren Figur Lila so viele Züge der Ingeborg Bachmann verliehen bekam, so wie er ja immer mit großer Verve zu Material machte, was immer er erlebte, um es zu Literatur zu verfremden, zu stilisieren.
Von Sehnsucht und Einsamkeit, von Glück und Warten
Seine literarisch alles andere als unterlegene Geliebte unterstützte, bestärkte, kritisierte Frisch, wie es kein Lektor besser vermocht hätte. Und schickte ihm, mit völlig berechtigtem Stolz, gerade entstandene Gedichte, auch den bleibend genialen Wurf „Strömung“. Aber sie schreiben einander auch, was sich Liebende so schreiben. Von Sehnsucht und Einsamkeit, von Glück und dem Warten auf den nächsten Brief, vom Trosttrinken, vom Sonnenbaden und Teekochen. Allerdings geraten ihnen auch solche Passagen hochliterarisch, nicht nur stilistisch glänzend, sondern oft auch voller Bedeutungsschichten. Als sie zusammenziehen, ab 1960 in Rom und später in Uetikon am Zürichsee, werden die Briefe weniger; aber zu den Entdeckungen dieses Briefwechsels gehört auch, wie viel und wie lang Autoren wie diese beiden in ganz Europa und den USA unterwegs waren in Zeiten, als das Reisen noch ungleich beschwerlicher war als heute. Und Gelegenheit schuf, wieder ein paar Zeilen in einen Umschlag zu stecken und auf die Post zu geben. Heute wären es womöglich alles Chat-Verläufe. Gespeichert oder gelöscht.
Der Briefwechsel ist allerdings auch recht ungleichgewichtig überliefert: Ingeborg Bachmann scheint viele Briefe von Max Frisch vernichtet zu haben, so mancher von ihm ist nur als Durchschrift aus Frischs Nachlass erhalten. So lesen wir nun etwa doppelt so viele Briefe von Ingeborg Bachmann.
Einmal, da sind sie schon getrennt, drängt sie Frisch, das Gerüchte-Lauffeuer auszutreten, das besagt, sie sei in die gemeinsame Wohnung in Rom eingebrochen und habe Briefe, Tagebücher, Notizen verbrannt. Da lebt sie in Berlin, Günter Grass und Uwe Johnson in der Nachbarschaft. Und der Literaturbetrieb ist eine gigantische Klatschschleuder, zumal die Phantasie hier ja zu den wichtigsten Produktionsmitteln zählt. Frisch reagiert brav, schreibt an seinen Verleger Siegfried Unseld und den Kollegen Alfred Andersch. An dieser Stelle zeigt sich eine Stärke der Edition, die sich nicht auf die Briefe zwischen den Protagonisten beschränkt, sondern auch Korrespondenzen mit anderen miteinbezieht, wenn sie das Bild vervollständigen.
Detaillierte Erläuterungen
Allerdings hat der Germanistenfleiß den Band fast auf das Doppelte des Briefwechsels anschwellen lassen, der Stellenkommentar fällt so erhellend wie reich an Details aus. Bis hin zum fatalen „Venedig-Vertrag“, den Bachmann und Frisch im höchsten Glück abschlossen und wonach sie eine radikal offene Zweierbeziehung leben wollten, eine absolut freie Liebe. Dass so etwas zutiefst gefestigte Persönlichkeiten erfordert, war den beiden offenbar nicht klar; sie waren lebenslang auf der Suche nach ihrem Ich, zweifelten, grübelten, sondierten.
Bachmanns Affären mit Pierre Évrard Paolo Chiarini oder Hans Magnus Enzensberger ließen Frisch ebenso verzweifeln wie Bachmann schon anfangs darauf drängte, dass Frisch seine Beziehung mit Madeleine Seigner beendete. Sie haben wohl über ihre Kräfte geliebt – und sehen am Ende ein: „Wir haben es nicht gut gemacht“.
Buch und Hörbuch
Ingeborg Bachmann/Max Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht. Der Briefwechsel“, hg. von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedeman. Piper/Suhrkamp, 1039 S., 40 €.
Eine sehr eindringliche, vollständige Hörbuch-Fassung haben Matthias Brandt und Johanna Wokalek eingelesen: 2 mp3-CDs, mit Booklet. 975 Minuten, 36 €.