Düsseldorf. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges von bedrückender Aktualität: Warum Tschaikowskys „Jungfrau von Orleans“ in Düsseldorf überzeugt.
Der Krieg ist allgegenwärtig in Peter Tschaikowskys selten aufgeführter Oper „Die Jungfrau von Orleans“, deren Premiere im Düsseldorfer Opernhaus auf begeisterte Zustimmung stieß. Ein Werk, das den Nerv der von realen Kriegsszenarien und Weihnachtsmärkten widersprüchlich geprägten Stimmung unserer Zeit pointiert trifft.
Grandiose Chor-Tableaus und emotional aufgewühlte Solo-Szenen garantieren effektvolle Höhepunkte, die aber den bedrückenden Kern der Handlung niemals plakativ übertünchen. Dafür sorgen sowohl Tschaikowsky mit seinem selbst verfassten Libretto und seiner Musik als auch Elisabeth Stöppler mit ihrer ebenso spannenden wie sensiblen Inszenierung.
Eine verletzliche Heldin ohne jeden Lorbeerkranz
Der Krieg kennt keine Grenzen: Eine Französin kämpft gegen die Engländer, komponiert von einem Russen nach einer deutschen Vorlage Schillers. Johanna, die von Gott berufene Retterin ihrer Heimat, erscheint wie ein Wunder in einer schier aussichtslosen Situation, zeigt aber zugleich, dass Wunder keinen dauerhaften Frieden garantieren können. Dafür müssen die Menschen selbst sorgen. So trumpft Johanna in keinem Moment als strahlende Heldin auf. Selbst in Momenten des militärischen Erfolgs trägt sie keinen Lorbeerkranz, sondern wirkt wie ein verletzliches und verletztes Mädchen.
Tschaikowsky streift die letzten heldenhaften Züge von ihr ab, wenn er sie, der Hexerei beschuldigt, stärker als Schiller, als Menschen darstellt, der nichts anderes sucht als Liebe und Geborgenheit. Für eine Verklärung zur legendären Freiheitsheldin bietet Tschaikowsky keinen Platz.
Elisabeth Stöppler lässt am Ende zwar die Bühne im Feuerschein des Scheiterhaufens aufleuchten, Johanna mischt sich aber unter das Volk, sie verliert sich in der Anonymität, aus der sie für kurze Zeit wie ein Komet ungewollt katapultiert wurde.
Auf Schauplatzwechsel verzichtet die Regisseurin. Bühnenbildnerin Annika Haller begnügt sich, völlig ausreichend, mit dem Ambiente einer Kathedrale nach französischem Vorbild, in dem die Menschen, quasi eingeschlossen, hoffen und bangen, die scheinbare Heldin bejubeln und verdammen.
Ein Käfig, in dem der König wankelmütig umher zappelt wie in einem imaginären Spinnennetz, in dem die Fratze des Krieges auch die eigenen Leute einholt, wenn die Männer brutal zwangsrekrutiert werden. Eine der wenigen direkten Anspielungen auf den Ukraine-Krieg, der aber allgegenwärtig über der Produktion schwebt.
Tschaikowsky kleidet das Schicksal des zur unfreiwilligen Heldin stilisierten Mädchens und ihren Fall in ein musikalisches Bad von siedender Intensität. Herb tönend ohne sentimentale oder süßliche Entgleisungen, selbst in den Triumphgesängen der Chormassen mehr mit verzweifeltem als hymnischem Nachdruck. Üppig orchestriert und dennoch so geschickt arrangiert, dass die Sänger niemals überrollt werden. Eine wirklich lohnende Entdeckung. Vor allem, wenn die beiden wichtigsten Partien so überragend besetzt werden können wie in Düsseldorf.
Maria Kataeva in der Titelrolle: Mädchenhaft, aber schlagkräftig
Das betrifft den vorzüglichen Chor der Deutschen Oper am Rhein, der angesichts seiner großen und anspruchsvollen Aufgaben hier über sich hinauswächst, und die Mezzosopranistin Maria Kataeva in der Titelpartie, die alle Facetten ihrer Rolle stimmlich und gestalterisch differenziert zum Ausdruck bringt. Gipfelnd in der inneren Zerrissenheit, wenn sie vom Konflikt zwischen ihrem Sendungsauftrag und ihrer Liebe zu Lionel zermalmt wird. Ihre Stimme besticht durch mädchenhafte Natürlichkeit, ausreichende Schlagkraft und sonoren Wohlklang. Ideale Voraussetzungen für die Partie.
Die Deutsche Oper am Rhein kann auch diesmal mit ihrer Ensembleleistung punkten. Zwei markant singende Baritone stechen heraus: Evez Abdulla als Heerführer Dunois und Richard Šveda als Liebhaber Lionel. Der Rest des vielköpfigen Ensembles bietet gute, etwa der Tenor Aleksandr Nesterenko, bis akzeptable Leistungen.
Péter Halász am Pult der Düsseldorfer Symphoniker führt mit angemessenen Tempi durch den Abend, lässt das Orchester voluminös aufleuchten, nimmt aber genügend Rücksicht auf die Sänger und hält den Apparat auch in den großen Tableau-Szenen unter Kontrolle.
Lang anhaltender Beifall für eine ebenso spannende wie Betroffenheit auslösende Begegnung mit einem bisher kaum beachteten Meisterwerk.
Spieldauer: ca. 2¾ Stunden, eine Pause. Die nächsten Aufführungen im Opernhaus Düsseldorf: 10., 14., 17., 23., 26. und 29. Dezember sowie 4. und 8. Januar. (Infos: www.rheinoper.de).