Essen/Duisburg. Am 22. November ist Tag der Hausmusik – aber gibt es die überhaupt noch? Zwei Musiker und eine Expertin gehen dem Niedergang auf den Grund.
„Das war so schön, und so simpel“, erinnert sich Jupp Götz, und sein Bruder Ludwig nickt. „Der Vatter hat einfach losgelegt, und der Rest ist eingestiegen.“ Die beiden sprechen von der Hausmusik, die in ihrer Kindheit oft und regelmäßig durch das Haus der Familie Götz im Duisburger Süden schallte, für vier der fünf Geschwister hat sie sogar ihren Lebensweg vorgezeichnet – sie sind Berufsmusiker geworden. Zur Wahrheit, sagt Jupp Götz, gehöre aber auch, dass Hausmusik wie damals in den 60er und 70er Jahren heute nur noch schwer zu finden ist. Am 22. November ist der bundesweite Tag der Hausmusik – bedeutet das im Jahr 2022 überhaupt noch etwas?
In der Familie Götz jedenfalls kam überhaupt nie in Frage, keine Musik zu machen. „Unser Vater kam aus Bayern“, erzählt Ludwig, „aus einer Bauernfamilie“. Dort sei immer schon musiziert worden, Jupp zeigt ein Foto von Vater Sepp, sieben Jahre alt mit der Quetsche am Küchentisch, das war 1935. „Es gab ja auch keine anderen Musikquellen, einen Volksempfänger vielleicht, wenn überhaupt“, erinnert sich Jupp, „und die Bauern haben den ganzen Tag gearbeitet, sonst nichts. Da war die Hausmusik etwas ganz Besonderes.“
Hausmusik: Bohnen pulen und Lieder singen
Diesen Zauber hat Vater Sepp mit in seine Wahlheimat Duisburg gebracht. „Wenn wir Bohnen gepult oder Knöpfe sortiert haben, hat einer einfach angefangen zu singen“, erinnern sich die Brüder. Der Rest stieg ein – und trainierte gleichzeitig sein Gehör. „Wir haben auf diese Weise ganz natürlich Mehrstimmigkeit gelernt, Harmonie verstanden“, bestätigen die Brüder, „wenn einer schon die zweite Stimme gesungen hat, hat man halt die dritte genommen.“
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Nach und nach lernten die Brüder auch Instrumente, mit Vater Sepp an der Klarinette hatte Familie Götz bald ein kleines Orchester zu Hause. „Besonders Weihnachten war gesetzt, das hat der Vatter richtig vorbereitet. Da wurden die bekannten Weihnachtslieder gesungen, aber auch gespielt.“ Bekannt, überlegt Jupp Götz dann, das sei ein gutes Stichwort.
Hausmusik im Jahr 2022: zu viel Auswahl
„Deswegen ist Hausmusik heute so schwierig geworden, man kann nur schwer gemeinsam ‘Roxanne’ singen oder rappen. Damals gab es zehn, zwölf Kinderlieder, die alle kannten, dazu kamen die Volkslieder aus Bayern, Ländlerhefte und alte Schlager“, sagt Götz, „das war das Repertoire, das hat man gesungen.“ Heute gebe es eine Überflutung an Musik, „und wenn man gemeinsam Hausmusik machen will, muss man sich auf die gleiche Musik einigen. Hausmusik funktioniert heute also schon noch, es braucht bloß viel mehr Organisation.“
Die Brüder denken noch heute mit einem zufriedenen Lächeln an die Zeit zurück, in der die Familie Götz in der Küche oder im großen Garten „Mach ma Brotzeit“ sangen, dann kamen gerne auch die Nachbarn vorbei und lauschten, sogar der damalige Duisburger Oberbürgermeister setzte sich dazu. „Da ging es uns einfach darum, den Garten mit Musik und der Freude daraus zu füllen“, sind sich Jupp und Ludwig Götz einig.
Hausmusik hängt an der Instrumentalpädagogik
Cornelia Sokoll, Vorsitzende des deutschen Tonkünstlerverbands NRW, sieht den Niedergang der Hausmusik durch andere Umstände bedingt – und geht doch nicht davon aus, dass die Hausmusik zu verschwinden droht. „Im Gegenteil – ich sehe großes Interesse am Musizieren, beklage nur, dass von der Politik viel stärker die entsprechenden Weichen für die notwendigen Voraussetzungen für Hausmusik geschaffen werden müssten.“
Mit „Voraussetzungen“ meint Sokoll die musikalischen Bildungsmöglichkeiten, denn „gemeinsames Musizieren setzt immer eine gewisse Vorbildung voraus, egal wie Niederschwellig das Angebot, beziehungsweise der Anspruch ist.“ Das Problem: Aktuell herrsche ein Mangel an gut ausgebildeten Instrumentalpädagogen, „der auch langfristig nicht zu beheben scheint, da die Zahl der Studienanwärter für das Fach Instrumentalpädagogik dramatisch zurück geht.“
Reißt die Hausmusik die Oper mit in den Abgrund?
Schuld seien wohl die „miserablen Erwerbsaussichten“, sagt Cornelia Sokoll, im Mangel der Instrumentalpädagogen lauere die Gefahr für die Hausmusik. Und nicht nur für die: „Nur Menschen, die selbst musikalische Erfahrungen gemacht haben, werden auch Konzerte besuchen. Da kann es sein,, dass die einzigartige deutsche Konzert- und Opernlandschaft gefährdet ist“, so Sokoll.
Deswegen sei der künftige Stellenwert der Hausmusik nun eine politische Entscheidung, in jedem Fall müsse es gelingen, musikalische Bildung in den Bildungskanon zu integrieren. „Musikalische Bildung für jeden ist nur durch staatliche Finanzierung zu garantieren, Instrumentalunterricht kostet Geld und kann nicht auf dem Rücken schlecht bezahlter, aber gut ausgebildeter Instrumentalpädagogen angeboten werden. Über den Markt lässt sich Instrumentalangebot nicht regeln, es muss – so wie schulische Bildung – Teil der Daseinsfürsorge sein.“
Jupp und Ludwig Götz teilen die musikalischen Zukunftssorgen von Cornelia Sokoll. „Wenn ich heute in Altenheimen spiele, stimme ich ein Lied an und alle singen mit. Das geht, weil alle mit denselben Liedern aufgewachsen sind“, begründet der Musiker – und denkt schon ein paar Jahre in die Zukunft. „Wenn wir mal im Altenheim wohnen – was sollen wir dann singen?“
>> SO VIELE MENSCHEN MUSIZIEREN IN DEUTSCHLAND ZUHAUSE
- Das deutsche Musikinformationszentrum hat im 2021 eine repräsentative Studie zum Amateurmusizieren bei Deutschen ab dem sechsten Lebensjahr durchführen lassen.
- Die Studie befand, dass in Deutschland 3,5 Millionen Kinder und Jugendliche und 10,8 Millionen Menschen ab 16 Jahren musizieren.
- Prozentual sind das 48,4 Prozent der Gesamtbevölkerung zwischen sechs und 15 Jahren, 15,7 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren. Insgesamt musizierten 18,8 Prozent der Deutschen, also 14,3 Millionen Menschen.