Düsseldorf. Jeanne-Claude und der Verhüllungskünstler: Das Düsseldorfer Museum Kunstpalast lässt ihre Werk-Geschichte ab den frühen 60ern Revue passieren.
„Unsere Kunst dient keinem Zweck. Sie gehorcht keiner Moral. Sie ist absolut frei“, hat Christo Vladimirov Javacheff einmal gesagt, und ein Hauch dieser Freiheit weht nun durch die Säle des Düsseldorfer Museums Kunstpalast. Das ironischerweise in seinem Innenhof mit Baugerüsten und -planen derart eingehüllt ist, dass man es fast für eine etwas ungelenke Fingerübung von Christo und Jeanne-Claude halten könnte.
Aber das Ereignis findet selbstverständlich drinnen statt, wo sehr frühe verpackte und verhüllte Werke aus den späten 50er-, frühen 60er-Jahren Christos Wegstrecke bis zum letzten vollendeten Werk markieren, dem verhüllten Arc de Triomphe in Paris. Geträumt hat er, auch das zeigt eine Zeichnung, allerdings schon 1962 davon, als er und Jeanne-Claude, gar nicht weit entfernt vom napoleonischen Wahrzeichen, noch in einer Mansardenwohnung hockten.
Der frühe Porträtmaler Christo und die Kollegen wie Yves Klein, César und Dubuffet
Christo war über Wien und Genf aus seinem Heimatland Bulgarien geflohen, wo er die Kunstakademie in Sofia besuchte. Was er dort gelernt hatte, reichte allemal, um sich in den ersten Jahren als Porträtmaler der besseren Gesellschaft in Paris zu betätigen; das Bild der Comtesse Denise Viaris de Lesegno, das in der Ausstellung zu sehen ist, hat er ebenso mit „Javacheff“ signiert wie eines der letzten Werke dieser Art, das 1963 Brigitte Bardot zeigte. Der Porträt-Auftrag für Précilda de Guillebon hatte da schon die Liebe zu deren Tochter Jeanne-Claude auflodern lassen.
Wie fast alle Künstler im Paris dieser Zeit war Christo rastlos und radikal auf der Suche nach Neuem. Die Kunstpalast-Schau zeigt, dass auch andere sich viel an Oberflächen abarbeiteten – Yves Klein mit seinen Schwammreliefs, César mit gepressten Metallkanistern, Jean Dubuffet mit einem gerahmten „Meer der Haut“ aus Pflanzenteilen, Alberto Burri mit zerfetztem Sackleinen und Piero Manzoni, der ein verschnürtes und sechsfach gesiegeltes Päckchen auf eine Leinwand pappte, während Lucio Fontana dieselbe munter löcherte.
In der Galerie Schmela 1963 einen VW Käfer verpackt
Auch Christo experimentierte erst mit Leinwänden (und pflanzte „Krater“ aus leeren Farbdosen darauf), bis er den Reiz des Verpackens für sich entdeckte – also fast beliebige Dinge so verschnürte, dass es erst mal ein Rätsel blieb, was da unter dem Packpapier von Kordeln eingeschnürt sein mochte. 1963 verpackte er mit Jeanne-Claude in der Düsseldorfer Galerie Schmela einen VW-Käfer – dessen Besitzer allerdings mehr Wert auf Mobilität als auf Kunst legte und sich bald wieder ans Auspacken machte. Die Rekonstruktion, die Christo 2014 mit einem historisch passenden Käfer vornahm, ist nun in Düsseldorf vor einem XXL-Foto postiert, das Christos erste Ölfass-Wand in einer Pariser Seitenstraße zeigt („Eiserner Vorhang“ mit fast 100 Stück). Ansonsten sind viele Auflagen- und Original-Werke aus der Sammlung des Recklinghäuser Ehepaars
Als sie Mitte der 60er in die neue Kunstmetropole New York gingen, weitete sich der Blick der beiden zu Landschafts-Kunstwerken wie den „Laufenden Zäunen“, den „Schirmen“, den Miami-Inseln mit rosa Kragen, dem Iseo-See mit Laufstegen oder den orange leuchtenden Toren im Central Park, mit denen sie der von 9/11 verwundeten Seele der Stadt 2005 wieder eine gewisse Leichtigkeit gaben. Die Reichstags-Verhüllung ist üppig dokumentiert, der Pont Neuf und die Ölfässer-Wand im Oberhausener Gasometer eher en passant (und sein „Big Air Package“ dort gar nicht), und all das ist ja ohnehin nur ein verhaltenes Echo jener umwerfenden Raumverwandlungs-Erfahrung, die noch jede von Christos Groß-Installationen zu bieten hatte.
Kölner Dom, Wolkenkratzer in New York und die Engelsbrücke in Rom blieben unverhüllt
Das künstlerisch Interessante sind so Christos hochpräzise Zeichnungen und Collagen, mit deren Verkauf er seine großen Werke ohne jedes Sponsoring selbst finanzierte. Wie genau er nach einiger Erfahrung die Faltenwürfe plante und die Verschnürungen, die eher ästhetische als technische Funktionen hatten, das lässt wirklich den Atem stocken. Und sie lassen ahnen, was wir verpasst haben, weil Christo bis zu seinem Tod 2020 weder Wolkenkratzer in New York noch den Kölner Dom oder die Engelsbrücke zum Vatikan verhüllen durfte und keine Tuchdächer über den Colorado River spannen. Christos Neffe arbeitet immer noch optimistisch daran, dessen Pläne für eine „Mastaba“ aus 410.000 Ölfässern in Abu Dhabi umzusetzen. Es sollte Christos einzige dauerhafte Landschafts-Installation werden. Aber vielleicht lag deren Zauber immer in ihrer Vergänglichkeit.