Essen. 1922 kam das von Karl Ernst Osthaus gegründete Museum Folkwang nach Essen. Es begann als Haus der Bürger, das es heute wieder werden soll.

Das Museum Folkwang, seit fast 100 Jahren in Essen ansässig, ist ein Musterfall deutscher Museen. Es ist ein Haus mit einer bundesweit, ja, international anerkannten Sammlung – das freilich das Potenzial dieses Schatzes gar nicht auszuschöpfen vermag, weil es mitleidet unter der notorischen Unterfinanzierung städtischer Haushalte. „Ein Ferrari mit dem Motor eines VW Golf“ wie ein kenntnisreicher Museumsmann einmal unter vier Augen bemerkte.

Die Geschicke des Museums Folkwang, dessen Geschichte noch weitere 20 Jahre bis zur ersten Gründung zurückreicht, spiegeln allerdings auch, wie abhängig ein solches Haus ist vom Enthusiasmus derer, die dahinterstehen; wie abhängig aber auch von den Wechselfällen, den Widrigkeiten und Glücksfällen der Historie. Kein Museum steht außerhalb seiner Zeit. Wer sich darin in prächtiger Isolation fühlt, erliegt einem Irrtum. Museen sind Plattformen, Spiegel und im besten Falle Motoren ihrer Zeit.

Jahre des Aufbruchs

So war es auch in den Gründungsjahren des Museums, das der Millionenerbe Karl Ernst Osthaus zunächst 1902 in Hagen einrichtete. Es waren Jahre des Aufbruchs. Die Arbeiter der Zeit strebten nach mehr Mitbestimmung, politisch wie wirtschaftlich; die Bürger wiederum drängten ins Offene, die Bewegung der Lebensreform suchte die durch Industrie und Großstädte entfremdeten Menschen zurück zur Natur zu führen, zur Natürlichkeit, und vom Korsett der wilhelminischem Gründerzeit zu befreien, bildlich wie wörtlich.

Das Museum Folkwang heute.
Das Museum Folkwang heute. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Der Bankiers-Sohn Karl Ernst Osthaus, der von seinen Großeltern überraschend 3 Millionen Mark geerbt hatte, sah das Heil, sah die Heilung des modernen Menschen in der Kunst. Sie sollte die losen Enden, in die sich mehr und mehr Leben in der Moderne zu verzetteln drohten, wieder zusammenführen; Kunst sollte auch die vielen Menschen, die das Ruhrgebiet angezogen hatte, zusammenführen. So nannte er das Museum, das er vom Architekten und Designer Henry van der Velde nach seinen Vorstellungen gestalten ließ: Folkwang. Es sollte eine Halle des Volkes werden, versehen mit der Weihe der nordischen Sagen. Der Palast der Göttin Freya, so etwas wie die Venus der Germanen, sollte Pate stehen für eine Wiedervereinigung von Kunst und Leben im Volk.

Vereinigung der Kulturen der Welt

Wobei Osthaus unter Kunst viel mehr verstand, als das, was wir heute in bildender Kunst sehen. Er träumte von einer Vereinigung der verschiedenen Kulturen der Welt in einem Haus, er suchte nach dem roten Faden des universell Schönen in der Kunst aller Kontinente und Zeiten. In der prinzipiellen Gleichstellung der Kulturen lag das Revolutionäre seines Ansatzes – in einer Zeit zumal, in der viele noch von einem Platz an der Sonne träumten und damit die Ausplünderung von Kolonien meinten.

Vereint werden sollten für Osthaus aber auch Künste wie Malerei, Bildhauerei und Grafik mit Musik Literatur, Theater und Tanz, dem Handwerk und der Gestaltung. Eine Idee, die später im Weimarer Bauhaus Gestalt annehmen sollte. Alle Kunstformen wollte Osthaus zu etwas Allgemeingültigem gestaltet sehen. Am Ende seines kurzen Lebens, das maßgeblich durch eine Weltkriegsverletzung herbeigeführt wurde, begann Osthaus selbst schon einzusehen, dass es dieses Allgemeingültige in der Moderne nicht mehr geben wird, auch in der Kunst nicht.

Kuratorium aus Stiftern und Stadtverordneten

Das Museum 1929: Zwei Goldschmidt-Villen.
Das Museum 1929: Zwei Goldschmidt-Villen. © Museum Folkwang | Paul Vogt

Das machte es seinen Erben leichter, nach seinem Tod 1921, die schier unermesslich große Sammlung, die Osthaus in Hagen zusammengetragen hatte, aufzuteilen. Der kunstgewerbliche Teil der Sammlung ging an das Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld, wo er noch heute zu finden ist. Die ungeheuren Kunstschätze aber sollten zusammengehalten werden. Der damalige Essener Oberbürgermeister Hans Luther und der Direktor des dortigen Kunstmuseums Ernst Gosebruch trommelten bei der Wirtschaft in der Region unter Führung des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats 10 Millionen Mark zusammen – die Gewinne sprudelten ja nur so. Als die Erben von Osthaus wegen der bereits galoppierenden Inflation eine Nachforderung von weiteren 5 Millionen Mark erhoben, wurde auch diese Summe aufgebracht. Die Geschicke des neuen Museums Folkwang, das am 29. Oktober 1922 in den Räumen des städtischen Kunstmuseums eröffnet wurde, bestimmte fortan ein Kuratorium aus Stiftern und Stadtverordneten. So ist es bis heute geblieben.

Die weitere Geschichte des Hauses ist wechselvoll. Es dauerte bis 1929, bis das Museum ein angemessen großes Gebäude hatte, zusammengesetzt aus den beiden gestifteten Villen der Brüder Goldschmidt. Nur vier Jahre lang konnte der verdienstvolle Gosebruch dieses Museum nach eigenen Vorstellungen gestalten, dann drängten ihn die Nazis unter Führung des Oberbürgermeisters Reismann-Grone zum Rückzug. An seine Stelle trat Klaus Graf von Baudissin, der den Nazis bedingungslos ergeben war. 1937 erlebte das Museum die schlimmste Plünderung, als eine Kommission unter Beteiligung von Baudissins hunderte Werke für die Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ aussuchte.

Die Lücken in der Sammlung wieder auffüllen

Paul Vogt, der wichtigste Direktor der Nachkriegszeit (1963-1988), hatte vor allem damit zu tun, die empfindlichen Lücken in der Sammlung wieder aufzufüllen. Längst nicht alle Werke ließen sich zurückkaufen. Vogt sicherte aber auch zeitgenössische Kunst fürs Museum; als Glücksfall erwies sich der Ankauf der Lehrsammlung von Otto Steinert, Folkwang-Lehrer für Fotografie. Seine Assistentin Ute Eskildsen baute diesen Bestand zu einer Sammlung von Weltformat aus.

Mit dem glücklichen Neubau des Museums durch David Chipperfield komplettierte 2010 auch das deutsche Plakatmuseum den von Osthaus gestifteten Gedanken eines Miteinanders der Künste. In den 2000er-Jahren wurde das Museum zum Sprungbrett für nationale und internationale Karrieren. Der zum Elitären neigende Kunsthistoriker Hubertus Gaßner wechselte kurz nach Dienstantritt zur Hamburger Kunsthalle. Der eloquente Museumsmanager Hartwig Fischer, dem der Folkwang-Neubau als Geschenk von Krupp-Stiftungs-Chef Berthold Beitz quasi in den Schoß gefallen war, machte mit einem Wechsel erst zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und dann ans Royal Albert Museum in London Karriere. Nach einem unglücklichen Intermezzo mit Tobia Bezzola, der aus seiner Schweizer Heimat ganz andere finanzielle Möglichkeiten gewohnt war, steuert nun der kunsthistorisch ambitionierte und doch sehr auf die Gegenwart konzentrierte Peter Gorschlüter die Geschicke des Hauses, das er wie kein Zweiter vor ihm mit der Stadtgesellschaft zu vernetzen versucht. Da schließt sich durchaus ein Kreis. Denn aus der Stadtgesellschaft war ja 1922 der Impuls und das Geld zum Erwerb der prächtigen Folkwang-Sammlung hervorgegangen.