Köln. Tapferkeitsmedaille für Tom Jones: Er ist längst reif für eine Hüft-OP – und steht doch sein Open-Air-Konzert in Köln durch. Das heißt: Er sitzt.

Der Tiger? Das war einmal. Er tanzt nicht mehr. Stattdessen lässt er sich auf einem Schemel nieder, den er für die Dauer von 90 Minuten, bis kurz vor Schluss, nicht mehr verlassen wird. Tom Jones ist angeschlagen. Was 3000 Fans auf dem Roncalliplatz schon nicht entgangen ist, als der 82-Jährige pünktlich um 20 Uhr die Bühne betritt. Oder besser gesagt: behumpelt.

„Vor fünf Jahren habe ich ein neues Hüftgelenk bekommen“, erzählt er, „es sieht gut aus, es fühlt sich gut an, es funktioniert gut.“ Aber jetzt macht die andere Hüfte Ärger. „Wenn ich die auch noch operieren lasse, bin ich hipper than hip“, scherzt Jones, ein Wortspiel mit hip (für englisch Hüfte) und hip (für angesagt sein). „Das ist der Grund, warum ich auf diesem Schemel sitze. Wenn ich aufstehe – autsch!“

Vom Hüftproblem abgesehen ist der Mann aus Wales voll auf der Höhe und bietet mit seiner Band eine grandiose Show.

Tom Jones hofft, dass er noch „viele, viele Male“ in Köln spielen wird

Damit die Leute ihn lieben, braucht es nicht erst so freundliche Sätze wie: „Es ist schön, wieder in Köln zu sein. Ich war viele, viele Male hier. Und hoffe, dass ich noch viele, viele Male hier sein werde.“ Sobald er da ist, springen alle von den Sitzplätzen auf und zollen ihm Respekt.

Jones ist einer der dienstältesten britischen Sänger, die Weltruhm erlangten. In über 55 Jahren hat er mehr als 100 Millionen Tonträger verkauft. Seine Songs haben viele im hauptsächlich älteren Publikum lebenslang begleitet. Sie feiern den Künstler und seine Leistung, aber, ein Stück weit, auch ihre eigene Erinnerung.

Bei seinem Auftritt in Köln auf dem Roncalliplatz blieb der Tiger Tom Jones lieber sitzen; die Hüfte macht ihm aktuell Probleme.
Bei seinem Auftritt in Köln auf dem Roncalliplatz blieb der Tiger Tom Jones lieber sitzen; die Hüfte macht ihm aktuell Probleme. © Hyou Vielz | Hyou Vielz

„Surrounded by Time“ (Umringt von Zeit), das 2021 erschienene Album von Jones, passt dazu hervorragend. Es versammelt Coverversionen von Songs, die über Jahrzehnte hinweg durch Kolleginnen und Kollegen berühmt wurden. So wie „The Windmills of Your Mind“ 1969 durch Dusty Springfield. Oder Bob Dylans Original-Komposition „One More Cup of Coffee” (1976). Und „Tower of Song” (1988) aus der Feder von Leonard Cohen. „Es ist ein großartiges Stück“, sagt Tom Jones und witzelt, „ich denke, er hat dieses Stück über mich geschrieben.“

Alle Fans auf dem Kölner Roncalliplatz tanzen zu Tom Jones’ Superhit „Sexbomb“

„Surrounded by Time“ gibt der Tour ihren Namen, sieben der Stücke, die auf der Setlist des ausverkauften Kölner Konzerts stehen, stammen von dem Album. Die Fans mögen die Sachen. Ja. Das tun sie. Aber so richtig mit- und von den Stühlen reißen lassen sie sich von den Stücken, die Jones berühmt gemacht hat. Und sie ihn. Da wird bei „Sexbomb“, nach dem wunderbar bluesigem Einstieg, so getanzt, als sei das hier kein Platz vor einer Kirche, sondern der Dancefloor einer Disko.

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„Bye bye, bye Delilah! Why, why, Delilah?“ erschallt es tausendfach und voller Wonne. Während der Tiger seine samtigen Krallen zeigt. Der „Lazarus Man“ hat da eher dämpfenden Charakter, mit Randy Newmans „You Can Leave Your Hat On“ steigt die Kurve wieder gewaltig nach oben, ehe bei „Kiss“ ein wahrer Orkan losbricht. Der Platz bebt. Alles ist ein einziges Johlen, Juchzen, Jubeln.

Für sein Konzert unter Schmerzen verdient Tom Jones die Tapferkeitsmedaille

Danach „One Hell of a Life“ („Sung by a welsh girl – like me“) zu bringen, ist dramaturgisch ein fetter Fehler. Die Stimmung sinkt auf den Tiefpunkt. Eben noch in der Sahara, nun am Nordpol.

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Aber, das muss man Tom Jones, dem wunderbaren, großartigen Entertainer, Sänger und Gastgeber, zugutehalten: Sonst dauern seine Konzerte zwei Stunden. Was auch in Köln möglich gewesen wäre. Dafür dass er, trotz Schmerzen, überhaupt aufgetreten ist, entschlossen, seine Tour noch zu Ende zu bringen, ehe er sich wieder unters Messer legt, dafür verdient er eine Tapferkeitsmedaille.

Mit dem rasanten „Strange Things Happening Every Day“ („A Rock’n’Roll-Rhythm’n Blues-Counry-and-Gospel-Song with a little Boogie Woogie at it’s side”) mobilisiert er seine vorletzten Kräfte. Die allerletzten reichen noch dazu aus, aufrecht stehend, seine fantastische Band vorzustellen. Fünf Minuten später verlassen zwei Vans mit dunklen Scheiben den Platz. Der Tiger ist fort.