Essen. Die letzte Inszenierung der Ära Mulders beschert dem Aalto-Theater einen großen Abend. Guy Joosten inszeniert Strauss’ „Arabella“ vielschichtig.
„Arabella“ - eine alberne Faschingskomödie, die letztlich nur Richard Strauss‘ Musik adelt: Ein (Vor-)Urteil, dass sich hartnäckig hält und Hugo von Hofmannsthals Libretto in diesem letzten gemeinsamen Werk des Erfolgsduos nicht gerecht wird. Wer sich im Publikum des Essener Aalto-Theaters an die letzte Inszenierung dieses Werks dort vor 25 Jahren erinnert – plüschig-opulent, dafür ohne inszenatorischen Mehrwert -, wird nun das Haus geläutert verlassen. Versprochen.
Was Regisseur Guy Joosten aus dem vermeintlich rückwärtsgewandten „Kaiserschmarrn“ aus dem alten Wien herausholt, stellt diese durchaus doppelbödige Geschichte um Schein und Sein und nicht zuletzt auch die Geschlechterrollen auf packend-dramatischen Boden. Und um es direkt vor weg zu sagen: Mit Tomás Netopil am Pult der über viele Jahre Strauss-erprobten Essener Philharmoniker, einem Sänger-Ensemble ohne Fehl und Tadel auf der Bühne, gelingt eine punktgenaue Symbiose aus Text und Musik, die man fast schon exemplarisch nennen kann. Ein Glücksfall für die Essener Oper und ein glanzvoller Ausstand des scheidenden Intendanten Hein Mulders.
Feinfühlige Regie: Guy Joosten lässt in „Arabella“ der Komödie ihren Lauf
Dabei lässt Joosten der Komödie durchaus ihren Lauf. Die bankrotte Grafenfamilie Waldner mit einem spielsüchtigen Vater und einer exaltierten, stets leicht angesäuselten Gräfin will als letzten Ausweg, um dem adeligen Schein zu wahren, ihre Töchter lukrativ an den Mann bringen. Zuerst die ältere, Arabella. Die jüngere Zdenka wird als Junge (Zdenko) ausgegeben, da die Mittel für „standesgemäßes“ Auftreten nicht für beide reichen. Längst residiert man nicht mehr im First-Class-Hotel. Karin Nottrodt (Bühne und Kostüme) schafft eher eine Art abgewetzte Vorstadtpension, in der diese „Klimbim“-Familie halbseiden aber farbenprächtig Hof hält. Draußen wogt ein Blumenmeer – sind es die „schönen Rosen“ von Arabellas Verehrer Matteo, der sich angestachelt durch Zdenko Chancen ausrechnet? Dorthin flüchtet sich Arabella, wenn sie „vom Richtigen“ träumt, der dann doch „einmal dastehen“ wird. Zum Beispiel als Mandryka, stinkreicher Sohn eines Offizierskollegen des Grafen aus dem fernen Winkel des k.-u.-k.-Reiches. Wildes Äußeres – hier trappermäßig, fellbehangen – aber mit großer Seele.
„Arabella“ am Aalto-Theater ist ein glanzvolles Finale der Intendanz von Hein Mulders
Inmitten dieses Geschachers, der heute schwer verdaulichen Verlobungsszene (Arabella: „Und du wirst mein Gebieter sein und ich dir untertan.“), der gräflichen Schießbudenfiguren (herrlich: Santiago Sanchez, Karel Martin Ludvik, Günes Gürle) als Elemer, Dominik und Lamoral, der einer Riesentorte entsteigenden Fiakermilli, der schon ganz schlecht vor lauter Schampus ist (koloraturselig mit samtig-lyrischem Fundament: Giulia Montanari) entwickeln Arabella und Zdenka ihr Eigenleben. Joosten zeigt einmal die Brutalität dieser brüchigen Klimbim-Welt. Aber selten sieht man Mandryka (Heiko Trinsinger mit kernigem zugleich empfindsamen Bariton) so verletzlich, Matteo (Thomas Paul mit strahlendem Tenor) nach seinem nächtlichen Besuch nicht bei Arabella sondern Zdenko/Zedenka so verwirrt. Ist er doch auf einen „Jungen“ hereingefallen. Das Schwesternverhältnis: ebenfalls ambivalent. Sie scheinen am Ende die Befreiten. Weg mit dem Brautschleier. Kann da noch Hochzeit sein? Joosten lässt das offen.
Musikalisch bleiben wenig Wünsche offen: Essens Philharmoniker in Topform
Musikalisch bleiben wenig Wünsche offen. Das gräfliche Elternpaar: Christoph Seidl mit sonorem Bass (und Wiener Zungenschlag) wäre sicher auch ein idealer Baron Ochs. Bettina Ranch füllt nicht nur vokal mit üppigem Mezzo die Rolle der Adelaide, sondern auch komödiantisch. Jessica Muirhead gibt ihr Strauss-Debüt in der Titelpartie mit großer Linie, exquisiter Farbgebung und heute fast schon selten: beeindruckender Textverständlichkeit. Mit Julia Grüters blühendem Sopran (Zdenka) ein ideales Strauss-Duo – und dazu den Essener Philharmonikern in Topform: ein Höhepunkt der nun endenden Saison.