Essen. Nach 25 Jahren gibt es am Essener Aalto-Theater eine neue „Arabella“. Warum Regisseur Guy Joosten „ein starkes Stück“ in der Strauss-Oper sieht.
Gerne wird „Arabella“ als Kopie des „Rosenkavalier“ bezeichnet. Doch der belgische Regisseur Guy Joosten, der zuletzt die selten gespielte „Die schweigsame Frau“ am Aalto-Theater herausbrachte, sieht darin keine Zweitauflage des beliebten Stoffs. „Ihm fehlt die Zartheit und die Romantik. Er ist viel dramatischer und kompakter“, sagt Joosten über die letzte Zusammenarbeit des Erfolgsduos Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Am Samstag, 14. Mai, beendet diese Premiere die Ära von Intendant Hein Mulders trotz aller Widrigkeiten. „Jede Woche fiel bei den Proben eine Sängerin, ein Sänger wegen Corona aus“, erwähnt der 59-Jährige mit großer Gelassenheit.
Seit über 30 Jahren inszeniert Guy Joosten Opern und genießt die große Emotionalität und hohe Professionalität. Als er mit einem alternativen Kollektiv das flämische Sprechtheater aufmischte, war ihm die „in den 1980er Jahren noch museale Kunst“ und die reiche Ausstattung ein Dorn im Auge. „Mach es besser“, forderte man ihn mit einer Opernregie heraus, die ein Treffer wurde. Für ihn öffneten sich Türen in ganz Europa, an der Metropolitan Opera, seit einigen Jahren auch in Südostasien. In Meisterklassen und Opernkursen gibt er heute sein Wissen weiter. „Solche Chancen, sich auszuprobieren, gibt es für den Nachwuchs gar nicht mehr“, weiß er und rät, nie aufzugeben und eine eigene, persönliche Geschichte zu erzählen.
Regisseur schätzt vielschichtige FrauenfIguren
Ein wesentlicher Schwerpunkt in seiner Arbeit sind die Frauen-Werke von Strauss. Nur „Die ägyptische Helena“ fehlt noch. Von „Elektra“ bis „Salome“ hat er sie alle auf die Bühne gebracht. „Vor allem in der Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal haben sich so vielschichtige Frauenfiguren entwickelt“, erklärt Guy Joosten und dass er sehr stark vom Text ausgehe und daher sein Futter beziehe. Mit seinem unterschätzten Werk „Arabella“ hatte Strauss auf Leichtigkeit gezielt. Sein Librettist, der kurz nach der Vollendung starb, hatte Tiefgang und Komplexität hereingebracht.
Obwohl zwischen Niedergang der Donaumonarchie und aufwallendem Nationalsozialismus entstanden, blicken die beiden auf das gute alte Wien Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Eine verarmte Adelsfamilie opfert ihre Töchter, um an Geld zu kommen. Die umworbene Arabella und die in Hosen versteckte Zdenka träumen von dem „richtigen Mann“. In den Wirren der Faschingszeit erleben sie die Auserwählten als Männer, die ohne Rücksicht auf Ehrgefühl und Jungfräulichkeit von ihnen Besitz ergreifen. Sie dürfen sich nicht entfalten, werden gar der Publikumsbeschimpfung preisgegeben. „So einen Mann kann man doch nicht heiraten. Da muss ich nicht ,#Me too’ an die Wand schreiben“, befindet der Regisseur.
Heruntergekommene Pension eröffnet alptraumhafte Welt
Premiere und Besetzung
Mit der Premiere von Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals „Arabella“ am 14. Mai, 19 Uhr, verabschiedet sich Hein Mulders nach neunjähriger Intendanz.In der Inszenierung von Guy Joosten sind unter anderen Christoph Seidl (Graf Waldner), Bettina Ranch (Adelaide), Jessica Muirhead (Arabella), Julia Grüter (Zdenka), Heiko Trinsinger (Mandryka) und Thomas Paul (Matteo) zu erleben.Die musikalische Leitung hat Generalmusikdirektor und Strauss-Verehrer Tomáš Netopil.Weitere Termine: 19. und 28. Mai. Karten:0201 81 22-200 oder online unter www.theater-essen.de
Aber die sich wandelnden Wände drücken das aus, was er von der Oper denkt. „Es ist ein starkes Stück, ein brutales Stück. Für mich ist das keine Komödie“, erklärt Guy Joosten. Mit der vielfach ausgezeichneten Bühnen- und Kostümbildnerin Katrin Nottrodt hat er das „Wien dieser Familie“ auf die Bühne gebracht, die nicht mehr durch eine elegante Hotellobby schreitet. „Ich wollte eine neue Dimension aufmachen“, betont er. Eine heruntergekommene Pension ist der Ausgangspunkt „für eine Welt, die alptraummäßig eindimensional ist, eine Welt mit Abgründen.“
In Joostens Inszenierung gerät das gute, alte Wien aus den Fugen. Ein Loch tut sich im Boden auf. Platz für Operettenseligkeit scheint es da nicht wirklich zu geben. Und auch ein Happy End kann sich der Belgier nicht vorstellen. „Für mich wäre es schon ein Happy End, wenn Arabella nicht heiratet“, sagt er. Aber zumindest den „Rosenkavalier“ lässt er als Querverweis schön grüßen: „Mit einem Augenzwinkern werden immer wieder Rosen geliefert.“