Duisburg. Chopins Préludes standen im Zentrum von Alice Sara Otts Auftritt beim Klavierfestival Ruhr. Doch denen wird ihr sensibler Anschlag nicht gerecht
„Echoes of Life“: Das Motto ihres 10. Auftritts im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr klingt für eine 33-jährige Pianistin wie Alice Sara Ott wie ein verfrühter Rückblick auf ein erfülltes Musikerleben. In der Gebläsehalle des Duisburger Landschaftsparks, wo sie als 18-jährige mit Beethovens „Appassionata“ und sämtlichen „Études d’exécution transcendente“ Franz Liszts das Podium geradezu erstürmte, rankte sie diesmal um die 24 Préludes Frédéric Chopins sieben überwiegend verhaltene Werke zeitgenössischer Komponisten, mit denen sie besondere Erinnerungen verbindet. Schließend mit introvertierten, mitunter geradezu depressiven Stücken von Toru Takemitsu, Arvo Pärt und einer eigenen Fantasie über das „Lacrymosa“-Fragment aus Mozarts „Requiem“.
Der Wandel von einer kraftvollen Tastenlöwin zu einer sanften, nachdenklichen Poetin mag überraschen. Aber mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit wie Multiple Sklerose verändert sich halt der Blickwinkel auf das Leben.
Alice Sara Ott richtete ihr Programm extrem privat aus
Angesichts der extrem privaten Ausrichtung des Programms verbietet sich zwar jede Kritik an der Auswahl der von Francesco Tristano über Nino Rota bis Chilly Gonzales reichenden Beiwerke zu Chopins zentralem Zyklus. Nicht aber an der Ausführung, wenn Alice Sara Ott ihre Rückschau so intensiv mit großen Tourneen und einem medienwirksam präsentierten CD-Album öffentlich vermarktet.
Und da fällt schon auf, dass ein sensibler Anschlag vielleicht für manche Miniatur von Arvo Pärt & Co. reichen mag, aber nicht für den weitgespannten Ausdrucksradius der Chopin-Préludes. Die Pianistin haftet mit ihrem geschmeidigen Spiel zu sehr an der Oberfläche. Von den „unter Blumen versteckten Kanonen“, die Schumann in Chopins Musik zu hören glaubte, ist bei Alice Sara Ott nicht viel zu hören. Weder in Hinsicht auf emotionale Tiefe noch auf dramatische Zuspitzung.
Alice Sara Ott ließ Video-Aufnahmen von interessanter Architektur einspielen
Der Eindruck einer eher pauschalen Werksicht überträgt sich auch auf den Rest des Programms, auch wenn er hier angesichts der nicht immer überwältigenden Substanz der Kompositionen weniger ins Gewicht fällt. Die sympathische Ausstrahlung der Künstlerin fängt zwar manches Defizit auf, aber nicht alles. Ebenso wie die Video-Einblendungen von Hakan Demirel mit Abbildungen architektonisch interessanter Gebäude, deren Sinn sich zwar nicht unmittelbar erschließt. Aber Alice Sara Ott wird wissen, was sie damit meint.
Dass sich die einstige Gipfelstürmerin mit einer schlichten „Gnossienne“ von Erik Satie als Zugabe begnügt, rundet den in vielerlei Hinsicht nachdenklich stimmenden Abend in der endlich wieder vollbesetzten Gebläsehalle ab.