Essen. John Grishams Thriller „Der Verdächtige“ offenbart ein Formtief beim VW Käfer unter den Spannungsautoren. Wiederlesen mit einer Bekannten.

John Grisham ist der VW Käfer unter den Autoren: Er schreibt und schreibt und schreibt. „Der Verdächtige“ ist der dritte Roman innerhalb eines Jahres, der in Deutschland erscheint. Und ein Buch von Grisham ist so ein wenig eine Überraschung wie ein neues Album von Helene Fischer. Fans kaufen es blind, weil sie zu wissen glauben, was sie erwartet. Oft behalten sie Recht. Diesmal nicht.

Fans des Autors treffen hier wieder auf Lacy Stoltz, die sie vor fünf Jahren in „Bestechung“ kennengelernt haben. Man muss sie aber nicht kennen, um das neue Buch zu verstehen. Stoltz arbeitet immer noch in Gerichtsaufsichtsbehörde von Florida, die stets dann aktiv wird, wenn ein Richter sich strafbar gemacht hat. Wegen Trunkenheit im Prozess etwa oder wegen Korruption. Der neue Fall aber scheint ein anderes Kaliber zu haben. Denn bei Stoltz hat sich eine geheimnisvolle Frau namens Jeri Cosby mit einem ungeheuerlichen Verdacht gemeldet. Sie will Ross Bannick auf die Spur gekommen sein, einem Richter, der nach und nach eine Todesliste mit Menschen abarbeitet, die ihm im Leben mal dumm gekommen sind. Eines der Opfer war angeblich Jeris Vater. Die Juristin ist skeptisch, aber sie nimmt Ermittlungen gegen einen Verdächtigen auf, der nicht nur hoch angesehen, sondern auch extrem intelligent ist.

John Grisham schreibt diesmal, als wäre es eine True-Crime-Doku

Die Grundidee ist gut, die Umsetzung ist es nicht. Zumindest nicht, wenn man etwas wie „Die Firma“ oder „Die Jury“ erwartet. Denn lange Zeit passiert kaum etwas. Erst in der zweiten Hälfte nimmt der Roman Fahrt auf, wird aber schnell durch Wiederholungen und für die Handlung völlig überflüssige Kapitel wieder ausgebremst. Erschwerend kommt hinzu, dass Richter Bannick keine Figur ist, die einen fesselt. So böse ihn Grisham auch schildert, wirklich bedrohlich oder tatsächlich gefährlich wirkt er nur selten.

Als Stoltz und Cosby irgendwann erwartungsgemäß selbst auf die Liste des Richters geraten, wird es dennoch spannend. Doch auch das ist schnell wieder vorbei und über ein paar Dutzend Seiten plätschert die Geschichte aus wie Wellen am windstillen Ostseestrand. Keine Frage, John Grisham kann Justizdramen fantastisch erzählen. Wenn er aber den Gerichtssaal verlässt, tut er sich – ähnlich wie etwa in „Das Manuskript“ – oft schwer. „Der Verdächtige“ ist keine Katastrophe. Er ist interessant, aufregend ist er nicht. Er liest sich über weite Strecken wie eine True-Crime-Doku, nicht wie ein Thriller. Kein Grisham wie viele andere also. Das ist durchaus als Warnung zu verstehen, wird aber Platz eins der Bestsellerliste nicht verhindern. Klappt ja bei Helene Fischer auch nicht.