. . US-Studenten müssen oft fast ihr ganzes Leben ihren Studienkredit begleichen. Der Bestsellerautor bricht dies auf Einzelschicksale herunter.

Die Zahlen sind gigantisch: Mehr als 44 Millionen US-Amerikaner waren 2017 laut „Forbes“-Magazin mit insgesamt 1,3 Billionen Dollar verschuldet, weil sie ihr Studium mit einem Darlehen finanziert hatten. Studienkredite sind nach Immobilien-Hypotheken der zweitgrößte Kreditmarkt der USA. Viele Schuldner kommen aus sozial schwachen Familien, finden auch nach dem Bildungsabschluss nur schwer einen adäquaten Job, der eine Kredittilgung inklusive Zinsen zu Lebzeiten ermöglichen würde. Viele von ihnen haben Jura studiert.

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„Debt till death“, Schulden bis zum Tod, ist das Thema von „Forderung“, dem gerade erschienenen 25. Justizthriller von Mega-Bestseller-Autor John Grisham, Jahrgang 1955, dessen Bücher wie „Die Firma“ oder „Das Testament“ weltweit in 42 Sprachen übersetzt worden sind. Inspiriert von einem Artikel im Magazin „The Atlantic“ aus dem Jahr 2014, in dem es um dubiose Machenschaften privater Jura-Fakultäten ging, durch die der „kapitalistische Traum“ zum Albtraum der Studenten wurde, bricht Grisham den bildungspolitischen Offenbarungseid der USA auf Einzelschicksale herunter und hat das ganz nebenbei in einen durchaus mitreißenden Kriminalroman verpackt.

Es ist ein großer Betrug, eine Riesensauerei

Mark, Todd, Gordon und Zola sind vier Studenten an der Foggy Bottom Law School in Washington, die alle mittellos, eher durchschnittlich begabt und immer unmotiviert sind. Von 191 000 Dollar bis zu 266 000 Dollar werden sich ihre Schulden zum Ende des Jahres belaufen, Rückzahlungschancen beinahe aussichtslos. Bei Mark wartet die Mutter auf den Abschluss, damit er den Bruder nach einem Drogendelikt vor dem Gefängnis bewahren kann. Er selbst hofft auf einen Kanzleijob, aber die anvisierte Anstellung ist schon vor dem letzten Semester Makulatur. Todd ist ein wirklich guter Barkeeper und hätte mit einem 200 000-Dollar-Kredit wohl besser eine eigene Kneipe aufmachen sollen, allein die Eltern wollten das nicht. Zola sollte den amerikanischen Einwanderertraum erfüllen und steckt stattdessen hoffnungslos im Schuldensumpf, während ihre Familie vor der Abschiebung in den Senegal steht. Gordon schließlich ist bipolar, verlobt mit Brenda, verliebt in Zola, und verzweifelt vor allem, weil er den Betrug an ihrer Schule entdeckt.

Denn die Law School der vier Freunde gehört zu einer ganzen Kette von Jura-Fakultäten, die aus den Träumen und Lebensentwürfen junger Menschen völlig skrupellos ein Millionengeschäft machen. Aufgenommen wird hier jeder, egal wie schlecht die Noten und Erfolgschancen sind, kassiert werden 45 000 Dollar pro Jahr, die die Jugendlichen zuzüglich Unterhaltskosten über Studienkredite finanzieren, beschäftigt werden billige, schlechte Dozenten, die im besten Fall 50 Prozent ihrer Kunden durch die Zulassungsprüfung für Anwälte bringen. Wer durchfällt, ist chancenlos, wer es schafft, hat es auch nicht leicht, weil die gut dotierten Jobs trotzdem nur an Absolventen der renommierten Schulen gehen. Es ist ein großer Betrug, eine Riesensauerei. Durch kooperierende Anwaltskanzleien werden sogar die Beschäftigungszahlen der Absolventen manipuliert.

Gordon, dessen Eltern mit ihrem geringen Vermögen auch noch für ihn gebürgt haben, setzt seine Medikamente ab und begeht Selbstmord. Seine Freunde entschließen sich zu einem drastischen Neuanfang. Bereits von den Studienfinanzierern fröhlich gestalkt und in schmerzhafter Erkenntnis der eigenen Unfähigkeit, die Anwaltsprüfung jemals bestehen zu können, werfen sie die Schule und geben sich wie die Hauptfigur in der Anwalts-TV-Serie „Suits“ einfach als zugelassene Juristen aus. Schöne Menschen in schönen Anzügen gibt es hier weniger, dafür werden die Freunde zu schmierigen Advokaten mit Visitenkarten, die ihre Mandanten in Krankenhäusern oder direkt bei Gericht zum Thema Trunkenheit am Steuer und ähnlichen Delikten auflesen. Die Jungs feiern ihre ersten Erfolge weniger wegen ihres Könnens, sondern weil sie mit der gleichen Staatsanwältin schlafen, während Zola immer die falschen Verkehrsopfer anspricht und in Gedanken bei ihrer Familie in Abschiebehaft ist. Zola ist Amerikanerin und weltoffene Muslimin, die hier die Kälte und Verachtung der Einwanderungsbehörden erlebt.

Aus der klassischen Anwaltskrimi-Konstruktion bricht der Roman erst langsam aus, dafür aber konsequent, denn was immer die Freunde auch anpacken, eigentlich geht alles schief. Ihre falschen Identitäten werden enttarnt, ihre illegale Anwaltstätigkeit fliegt auf, die Übernahme eines ärztlichen Kunstfehlerfalles wird zum absoluten Desaster. Zeit für immer riskantere Ka­priolen, bei denen sich die Studienabbrecher schließlich mit dem großen Boss hinter dem Uni-Schwindel anlegen, der zudem auch noch in einen Bankenskandal verwickelt ist.

Ein Thriller als eindeutiges politisches Statement

Nicht schwer erkennbar hat Gri-sham hier den realen Fall um die Millionen erfundenen Konten der Wells Fargo Bank und die daraus resultierenden Sammelklagen zitiert. Also werden Gelder verschoben, Büros gemietet, Firmen gegründet, Identitäten vertauscht, aber alles diesmal eben nur scheinbar genial, weil es von hoffnungslosen Dilettanten betrieben wird, denen man das Beste wünscht, aber von denen man selbst auch nicht gern anwaltlich vertreten werden möchte. Natürlich spitzt Grisham zu, sind seine Schuldenrechnungen Extreme, ist die Unwissenheit seiner Studenten haarsträubender, als zu erwarten wäre, sind ihre Entscheidungen schon dadurch alternativlos. Damit der Leser die Grundproblematik der Schuldenfalle nicht vergisst, gibt es den E-Mail-Austausch mit den Studienfinanzierern quasi als Running Gag mit immer absurderen Dialogen dazu, in denen die Sacharbeiter sich freuen, passende Tilgungspläne in Angriff zu nehmen, und versuchen, ihre „lieben“ Studenten reichlich schwachsinnig zu motivieren.

„Forderung“ ist ein Thriller ohne Leichen, der als eindeutiges politisches Statement gedacht ist: Das Bildungssystem der USA lässt die sozial Schwachen komplett im Stich.