Kassel/Düsseldorf. Es war auch die Documenta, die Emil Noldes Mythos vom verfolgten Künstler verdichtete. Zeigt eine neue Werkserie des Künstlers Mischa Kuball.
Der Düsseldorfer Konzeptkünstler Mischa Kuball hat dem Documenta-Archiv in Kassel fünf Arbeiten seiner Werkserie „researchdesknolde/kritik/documenta (2021)“ geschenkt. Die Bildtafeln reflektieren seine intensive Auseinandersetzung mit der Künstlerpersönlichkeit Emil Nolde im Spiegel der Weltkunstausstellung Documenta in Kassel.
Kuball war für seine Arbeiten, Schwarz-Weiß-Collagen auf Metallplatten, auf Spurensuche im Documenta-Archiv und bei der Nolde-Stiftung in Seebüll. Der Expressionist Nolde (1867-1956) zählt zu den bekanntesten Künstlern der klassischen Moderne und stellte dreimal auf der Documenta aus.
Emil Noldes widersprüchliche Biografie
Der Düsseldorfer Künstler hat historische Aufnahmen, Künstlerlisten, Presseartikel und andere Quellen in den Blick genommen, die er als Fotografien zu Collagen zusammengefügt hat, um Noldes widersprüchliche Biografie, seine Selbstdarstellung und die Rolle der Documenta zu beleuchten. Die Serie sei eine Resonanz auf jene Forschungen, die Noldes ambivalentes Verhältnis zum NS-Regime offenlegen, sagt Kuball.
Obwohl er ab 1937 als „entarteter“ Künstler verfemt und später mit Berufsverbot belegt wurde, habe er sich den Nationalsozialisten angebiedert, auf Anerkennung gehofft, sich antisemitisch geäußert und Denunziationen nicht gescheut. Kuball verweist dabei auf die Maler Max Liebermann (1847-1935) und Max Pechstein (1881-1955), der wie Nolde zur Künstlergruppe „Brücke“ gehörte.
Werner Haftmann sorgte dafür, dass Emil Nolde auf der Documenta gezeigt wurde
Das Narrativ des verfolgten Künstlers habe er selbst erschaffen, und er sei von Sammlern, Medien und Kunsthistorikern wie Werner Haftmann (1912-1999) unterstützt worden. Er machte es möglich, dass Emil Nolde auf der Documenta gezeigt wurde. Die Schau habe so zur Mythenbildung beigetragen, so Kuball.
1964, während der Documenta 3, waren 18 von 30 „ungemalten Bildern“ Emil Noldes ausgestellt, die er während des angeblichen Malverbots schuf. Eine seiner Collagen gibt Einblick in den Ausstellungsraum, ohne dass eines der Werke zu sehen ist. Eine andere zeigt als einzige ein Gemälde Noldes: „Grablegung“, präsentiert 1959 auf der Documenta 2.
„Wie schauen wir heute auf Noldes Bilder?“, fragt Mischa Kuball
Die Schenkung Kuballs, der zur Kulturhauptstadt Ruhr.2010 die Aktion „New Pott“ beisteuerte, sei eine Bereicherung für die Kunst- und Objektsammlung des Documenta-Archivs, sagt dessen Leiterin Birgitta Coers. Die Arbeiten stellten kritische Fragen: „Wie schauen wir heute auf Noldes Bilder mit dem Wissen über seine unrühmliche Rolle? Können wir sie noch so rezipieren, wie wir es jahrzehntelang getan haben?“
Antworten soll auch eine Ausstellung mit Kuball ab Dezember im Museum Fridericianum in Kassel geben: „nolde/kritik/documenta - ein Projekt des Documenta-Archivs, der Draiflessen Collection, der Nolde Stiftung Seebüll und Mischa Kuball“. Im Zentrum stehe Nolde als Documenta-Künstler und seine historische und widersprüchliche Persönlichkeit aus der Sicht eines zeitgenössischen Künstlers, sagt Kuball. Der Fokus soll aber nicht nur auf die Person Noldes gesetzt werden, sondern auch auf die Mechanismen künstlerischer Selbstinszenierung und das Verhältnis von Kunst und Politik. Dass diese Schau nach Kassel gehört, dorthin, wo Nolde selbst ausgestellt hat, darin sind sich Coers und Kuball einig.
Mischa Kuball ist Professor für öffentliche Kunst in Köln
Der Konzeptkünstler Mischa Kuball, geboren 1959 in Düsseldorf, arbeitet seit 1977 im öffentlichen und institutionellen Raum. Seit 2007 ist er Professor für Public Art an der Kunsthochschule für Medien in Köln, assoziierter Professor für Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und seit 2015 Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Künste NRW in Düsseldorf.
Das 1961 von Arnold Bode gegründete Documenta-Archiv widmet sich der Dokumentation und wissenschaftlichen Bearbeitung von Text- und Bildquellen zur modernen und zeitgenössischen Kunst. Ein Schwerpunkt sind die Documenta-Ausstellungen seit 1955.