Essen. Ein Künstlerarchitekt, wie er im Buche stand: Werner Ruhnau, vor 100 Jahren geboren, schuf weit mehr als das Musiktheater im Revier.
Für Werner Ruhnau war das Spiel nicht nur eine Vorstufe der Kultur, es war ihm eine Spielart derselben. Aber wie für Schiller und den Kulturphilosophen Johan Huizinga war ihm das Spiel ein Feld der Freiheitserfahrung, und so nannte Ruhnau denn auch viele seiner Bauten ein „Spielfeld“, nicht nur die heute so verwegen kulturell anmutende „Spielstraße“ zu den Olympischen Spielen in München 1972, auf der man Schauspiel, Bildende Kunst, Musik und Film erleben konnte. Ruhnau, der am heutigen Montag vor 100 Jahren in Königsberg zur Welt kam und 2015 in seiner Wahlheimat Essen starb, war ein Künstlerarchitekt: ein Architekt für die Künste wie auch ein durch und durch künstlerischer Baumeister. Ruhnau verkörperte als ausgebildeter Diplomingenieur die Verschmelzung von „Homo faber“ und „Homo ludens“.
Werner Ruhnau mit Künstlern wie Yves Klein und Jean Tinguely
Aber er war keiner, der sich für ein allzuständiges Genie hielt: An seinem Musiktheater im Revier, das von 1956 bis ‘59 in Gelsenkirchens schwarzgoldener Zeit der „1000 Feuer“ entstand, wirkten nicht nur seine Kollegen mit Ortwin Rave und Max von Hausen mit, sondern auch Künstler wie der damals noch blutjunge Yves Klein, Norbert Kricke, Paul Dierkes oder der längst nicht berühmte Jean Tinguely mit, für „Kunst am Bau“ ebenso wie für Kunst im Bau, Kunst als Element der Entstehung, des Wachsens.
Ruhnau, der in der Kriegs- und Nachkriegszeit an den THs von Danzig, Braunschweig und Karlsruhe studiert hatte, gründete 1953 im Baubüro der Landwirtschaftskammer Münster mit Harald Deilmann, Rave und von Hausen ein Architektenteam für den Wiederaufbau des örtlichen Theaters. Das integrierte auf bis heute vorbildliche Weise die Ruine eines klassizistischen Adelspalais in einen Bau von fast zeitlos moderner Formensprache.
Werner Ruhnau: „Alle Bürger sind Künstler“ – lange vor Joseph Beuys
Ruhnau und seine Kollegen hatten in bester Bauhaus-Tradition die mittelalterliche Bauhütte wiedererstehen lassen, sie lebten, zum Teil mit Familie, als Kommune gemeinsam gleich neben Baustelle. So entstand, mit wunderbaren Blickachsen am Nordrand der Innenstadt von Gelsenkirchen platziert, binnen dreier Jahre (nach einem Vorbild eines nie gebauten Entwurfs von Mies van der Rohe für Mannheim) ein programmatisch transparenter Glasbau für ein rund 1000 Köpfe zählendes Publikum – samt eines ursprünglich gar nicht geplanten „Kleinen Hauses“ für Aufführungen im Kammerspiel-Format. Sinnbild des organischen Wachstums ist bis heute Yves Kleins Schwammrelief in jenem intensiven Blau, das heute seinen Namen trägt.
Ruhnau: „Wir träumten davon, dass – ausgehend von der Kreativität der Darsteller auf der Bühne – die Besucher auf den umlaufenden Treppen und im Foyer zu Akteuren für die Bürger draußen werden, die nun, schöpferisch ermutigt, die Gestaltung ihrer Stadt selbst in die Hand nehmen.“ Sie gaben weit vor Beuys die Devise „Alle Bürger sind Künstler“ aus; den partizipativen Gedanken nahm Ruhnau 1984 bis 1990 wieder auf, als im Oberhausener Stadtteil Alstaden eine Werkbundsiedlung entstand. Dass die Bauhütte des Musiktheaters im Revier auf dem Höhepunkt der „Fresswelle“ in den 50er-Jahren bereits den Fleischverzehr als „Kannibalismus“ bezeichneten, mag man heute als Beweis für vorausgreifende Modernität sehen.
Werner Ruhnau baute auch für Karl Ludwig Schweisfurth die „Herta“-Zentrale in Herten
Und auch wenn Werner Ruhnau beim aufwendigen Umbau des Essener Grillo-Theaters (1988-1990) oder dem Umbau des Frankfurter Schauspiels wiederum die Federführung innehatte – auch die Gestaltung funktionaler Architektur wie der „Herta“-Zentrale für den Fleisch- und Wurstfabrikanten Karl Ludwig Schweisfurth mit Großraumbüros geriet ihm zum Bauen nach menschlichem Maß. Und wiederum spielte Kunst eine große Rolle, mit Werken von Daniel Spoerri, Hugo Kükelhaus, Christo und Wolf Vostell. Denn nicht nur das Theater, auch die Arbeitswelt sollte für Werner Ruhnau zum Spiel-Raum werden.