Haltern am See. Was die Römer in Westfalen wollten, was sie bauten, wie sie geschlagen wurden – und was von ihnen blieb: Das Römermuseum in Haltern zeigt es.
Klingt nicht gerade nach einer Geschichte von gestern: Eine Supermacht überfällt ein Land, das in Sachen Militärtechnik hoffnungslos unterlegen ist. Denn da gibt es einen Diktator, der sein Imperium erweitern will, im besetzten Land Widerstand brechen möchte und der Devise „Imperium ohne Grenzen“ folgt. Ist aber eine alte Geschichte, der Spruch lautet im Original „imperium sine fine“ und der Imperator heißt nicht Putin, sondern Augustus.
Gut 2000 Jahre her, dass Rom versuchte, nach Westfalen vorzudringen, das damals natürlich noch gar nicht so hieß, sondern „Germania magna“, das große Germanien. Niedergermanien mit der Hauptstadt Colonia Claudia Ara Agrippinensium, dem heutigen Köln, lag links des Rheins, ebenso wie das südliche Obergermanien mit der Hauptstadt Mogontiacum, dem heutigen Mainz.
Blei aus dem Sauerland, Gäsenfedern und das Blondhaar der Germaninnen
Aber die Römer wollten nicht einfach nur ihre Grenzen so weit wie möglich ausdehnen: Es ging, wie gleich zu Beginn der neuen Sonderausstellung „Rom in Westfalen 2.0“ im LWL-Römermuseum Haltern deutlich wird, nicht nur um Lorbeer für Feldherrn, sondern auch um profane, materielle Dinge wie Blei aus dem Sauerland, Sklaven, Gänsefedern, Getreide wie den von Germanen angebauten Emmer – und um kräftige blonde Haare: Nach ersten Eroberungen Germaniens wurde es bei den Damen der römischen Oberschicht ganz schick, blonde Perücken zu tragen...
Wie die Römer ihren Vormarsch organisierten, macht die Ausstellung sehr plastisch an verschiedenen Akteuren dieser Eroberung deutlich. Da waren die Pioniere, die mit ihrer „Dolabra“ (einer Mischung aus Beil und Spitzhacke, wie man sie auch in Haltern fand) erste Schneisen („limes“) in den dichten Wald schlugen und zunächst in Zelten schliefen, von denen in Haltern sogar seltene Schlaufen zum Festmachen ausgestellt sind – aus Ziegenleder, das unter normalen Umständen natürlich verrottet. Da waren die Bauhandwerker, deren ausgeklügelte Technik, dicke Balken ohne jeden Nagel dauerhaft haltbar miteinander zu verbinden, noch heutigen Zimmerleuten zum Vorbild dienen kann – in Stecktechniken wie dem „Schwalbenschwanz“.
„Jahrhundertfund“: Der Pracht-Dolch samt Scheide
Übrigens haben die Römer Längen in „Fuß“ gemessen, die Einheit hatte 29,6 Zentimeter, weshalb Halterns Museums-Chef Josef Mühlenbrock zu scherzen pflegt, die Römer hätten „Din-A-4 erfunden“. Ein solcher „Zollstock“ und ein Messzirkel sind ebenfalls unter den ausgestellten Funden.
Deren kostbarster aber ist ein spektakulär schöner, handwerklich präzise gefertigter, üppig geschmückter Dolch samt Waffengürtel und Scheide, der wohl einem höherrangigen Legionär gehörte – ein „Jahrhundertfund“, wie sich Prof. Michael Rind als Chef-Archäologe des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) nicht scheut zu sagen. Er konnte wegen seiner vielen Materialien (Eisen, Silber, Email, Glas, Buntmetall) nicht mit dem üblichen Entsalzungsverfahren haltbar gemacht werden, sondern nur mit einer aufwendigen Spezialbehandlung, die fast ein Jahr dauerte.
Schienenpanzer aus Kalkriese
Gleich neben dem Dolch ein Fund aus Kalkriese, das eine ganze Weile als sicherer Ort der Varusschlacht galt, bevor in jüngster Zeit wieder Zweifel an dieser Theorie lauter wurden: Ein weltweit einmalig erhaltener Schienenpanzer, der unter Augustus mehr und mehr das bis dahin übliche Kettenhemd zu ersetzen pflegte. Seine Bestandteile wurden 2018 fast vollständig geborgen – und zeigten, dass die Schienenpanzer vor allem im Schulterbereich ganz anders aussahen als bislang angenommen. Viele Gruppen, die das Legionärsleben der Römer nachspielen, haben schon mit dem Umschmieden begonnen...
Und so sehr die Vermutung, Kalkriese sei Ort der Varusschlacht gewesen, mit dem der Rückzug Roms aus „Germania magna“ begann, so sehr hat sich in den letzten Jahren in der Forschung die These gefestigt, dass das berühmte Aliso, das von römischen Historikern als einziger Rückzugsort der geschlagenen Varus-Truppen genannt wird, in Haltern anzusiedeln ist und nicht in Oberaden bei Bergkamen. Deshalb sieht man hier neben dem gewaltigen metallenen Spannrahmen einer gewaltigen römischen Armbrust („Manuballista“), die im niederrheinischen Xanten beim Kiesbaggern gefunden wurden nun auch die Rekonstruktion eines Signalhorns („Cornu“), mit dem ein pfiffiger Legionär das Zeichen für „Verstärkung kommt“ geblasen haben soll – worauf die Germanen die Belagerung von Aliso aufgegeben haben sollen.
Letztlich aber wurde auch dieses Lager aufgegeben, die Römer zogen sich hinter den Rhein als natürliche Grenze zurück – vielleicht auch aus ganz profanen Kosten-Nutzen-Erwägungen.