Essen. Der Niedergermanische Limes könnte zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt werden - er führt auch entlang des Niederrheins. Entscheidung fällt bald.

Im Osten die Zeche Zollverein, im Süden der Kölner und der Aachener Dom sowie die beiden Schlösser Falkenlust und Augustusburg, das Utrechter Rietveld-Schröder-Haus im Westen und das Wattenmeer im Norden – der Niederrhein ist umzingelt von Welterbe-Stätten, hat aber selbst keine. Bislang. Denn auf der Entscheidungsliste der aktuellen Unesco-Tagung, die offiziell im chinesischen Fuzhou, in Wirklichkeit aber virtuell im Netz als Online-Konferenz stattfindet, ist auch der Niederrhein vertreten – jedenfalls als Mosaikstein.

Letztlich geht es darum, die gesamte europäische Limes-Grenzbefestigung der Römer, die in den Jahrhunderten um Christi Geburt vom Schwarzen Meer bis zur Nordsee quer durch den Kontinent errichtet wurde, zum Welterbe zu erklären. Teile davon – der Obergermanisch-Raetische Limes von Rheinbrohl bis Eining an der Donau bei Kelheim, aber auch der Antonius- und Hadrianswall in Großbritannien – sind es bereits. Und nun soll der Niedergermanische Limes vom Vinxtbach bei Bad Breisig (gegenüber von Rheinbrohl) bis Valkenburg bei Katwijk an der niederländischen Nordseeküste folgen.

Der Archäologischer Park Xanten gehört dazu

Ein besonderes Problem des Niedergermanischen Limes: Er verlief an der „flüssige Grenze“, am Rhein, den die Römer als überlebenswichtige Transport- und Handelsstraße verteidigen wollten. Der Fluss aber hat in den letzten 2000 Jahren vielerorts und mehrfach sein Bett gewechselt, so dass auch mancher Fundort die Seite wechselte. Der Limes war allerdings ohnehin keine durchgehende Grenzbefestigung; aber seine etwa alle 25 Kilometer errichteten Kastelle, die Wachtürme, Mauern und Palisaden sicherten das Römische Reich gegen Aus- und Einfälle der Germanen.

Wann fällt die Entscheidung?

Bei der bereits gestarteten Online-Tagung des Unesco-Welterbekomitees soll entschieden werden, ob der Niedergermanische Limes in die Welterbeliste aufgenommen wird. Getragen wird der Antrag von den Niederlanden, beteiligt sind Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Am 27. Juli soll laut Plan über den Antrag entschieden werden. Dass er angenommen wird, gilt als wahrscheinlich. Garantiert ist das aber nicht.

Insofern passt es, dass der antibarbarische Schutzwall von einst heute nur punktuell ausgegraben ist. Allein im niederrheinischen Xanten lässt sich eine Ahnung davon entwickeln, wie beeindruckend die römische Bau- und Befestigungskunst war, die schiere Berge von Steinen versetzen konnte. Im Archäologischen Park (APX) auf den einstigen Römer-Fundamenten wird derzeit die antike Stadtmauer um weitere 50 Meter verlängert. Anfangs, zu Einrichtung des APX, rümpften archäologische Puristen noch die Nase über ein „Römer-Disneyland“, als etwa die Ruinen des Amphitheaters mit Hilfe von neuzeitlichem Beton zu alter Größe aufgefüllt wurden. Heute weiß man: Nirgends sonst ist die Römer-Archäologie so anschaulich – und wer Waffen, Kelche, Badethermen im Original erleben will, wird im Römermuseum des Parks fündig.

Und noch immer erleben die Archäologen längs des Niedergermanischen Limes gewaltige Überraschungen. So gibt es bei Kalkar einen antiken Tempel, der erst 2009 entdeckt wurde. Auf der gegenüberliegenden Rheinseite in Wesel-Flüren, ganz in der Nähe eines heutigen Truppenübungsplatzes der Bundeswehr, hatten die Römer schon „Übungslager“, die 2012 ans Licht gekommen sind.

Von der „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“ bis zur „Colonia Ulpia Traiana“

Bis vor sechs Jahren klaffte zudem zwischen Stadt und Heerlager in Xanten („Colonia Ulpia Traiana“) und den Ausgrabungen in Moers-Asberg („Asciburgium“) sowie der Festung Wertheim in Duisburg eine Lücke. Bis der besonders trockene Sommer 2015 den Archäologen ein Geschenk machte: Die Pflanzen verkümmerten so, dass in Drüpt, einem Ortsteil von Alpen, mit Hilfe eines Magnetometers von oben die Umrisse eines gigantischen Kastells sichtbar wurden – etwa 50 Fußballfelder groß.

Durch Vergleiche mit einem Lager im israelischen Masada, für das man genauere Zahlen hatte, fand die Forschung heraus, dass das „Hilfskastell“ zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert nach Christus sage und schreibe 24.000 Soldaten beherbergte. Ein Beispiel dafür, dass sich in der Archäologie aus jeder beantworteten Frage mindestens eine weitere ergibt: Warum, fragte der zuständige Archäologe Steve Bödecker, hat der Statthalter aus der „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“ (Köln) ein ganzes Heer dorthin geschickt: „Was war da los?“

Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Die Römer ließen die niederfränkischen Germanen durchaus in ihre Städte, trieben manchen Handel mit ihnen, rekrutierten zum Teil sogar Soldaten unter den „Barbaren“ – aber es gab immer wieder auch Scharmützel, Kleinkriege und große Angriffe. Der Niedergermanische Limes war allerdings Teil eines großen Ganzen: Es gibt eine europaweite Kooperation „Grenzen des Römischen Reichs“, die Welterbe-Stätten an diesen Grenzen unter einem Dach vereint. Deren Ausdehnung reicht quer durch Europa von Schottland bis in die Türkei, durch den Nahen Osten und Nordafrika zurück bis Portugal – mehr als 7500 Kilometer Grenzbefestigungen, die mehr als vier Jahrhunderte Bestand hatten und sich heute auf 20 Länder verteilen.

Hoffnungen auf spürbar mehr Tourismus

Mit dem Welterbe-Titel verbinden sich, wie überall, große Hoffnungen auf eine bessere touristische Vermarktung der Ausgrabungsstätten: Wer Ausflugsziele nennen kann, hat gute Argumente für einen Besuch der Region – da könnte selbst das Ruhrgebiet noch vom Weltkulturerbe Niedergermanischer Limes profitieren, ohne selbst Welterbe werden zu müssen.

„Nach der Ernennung des Obergermanischen Limes“, sagt Jörg Wegmann, der die Welterbe-Bewerbung beim Landschaftsverband Rheinland koordinierte, „gab es dort einen deutlichen Besucheranstieg, der sich auf einem hohen Niveau etabliert hat“. Wegmann selbst hat übrigens einen Limes-Lieblingsort – südlich von Düsseldorf: „Haus Bürgel bei Monheim ist sehr beeindruckend, da steht man vor vier Meter hohen Mauern, die noch original aus der Römerzeit sind.“