Essen. Ein junger Meister, der sich vor alten Meistern verneigt. Jetzt hat Essens Residenzkünstler Raphaël Pichon Bachs „Matthäus-Passion“ eingespielt.
Als wir Raphaël Pichon letzten Herbst zum Antritt als Residenzkünstler in Essens Philharmonie trafen, verriet er uns, wer einst die Liebe zur Musik in sein Herz pflanzte. Er sang als Zehnjähriger in einer Aufführung der Johannespassion: „Ich war ein Kind, aber ich habe gespürt: Du musst jetzt noch nicht alles verstehen, aber hier gibt es etwas, das größer ist als wir alle zusammen. Die Magie Bachs, seine Wucht und Spiritualität, das hat etwas in mir verändert, eindeutig.“
Bach war ein Leitmotiv von Pichons Essener Konzerten und eben ist auf drei CDs die Aufnahme eines zentralen Werks erschienen. Pichon und das von ihm gegründete Ensemble „Pygmalion“ erkunden die „Matthäus-Passion“ (harmonia mundi, 162 Min., ca 23 €).
Als Erstes fällt der Raumklang dieser exzellenten Aufnahme auf. Sie entstand in der jungen Philharmonie von Paris, aber die Töne scheinen aus dem Bauch einer romanischen Kirche zu kommen, warm pulsend, mystisch fast.
Hohes Niveau: Die Matthäus-Passion von Raphaël Pichon auf CD
Pichon spricht beim Durchmessen von Bachs Kosmos gern von der Balance zwischen Herz und Verstand, liebt ihn vor allem als Lehrmeister musikalischer Architektur. Dem Hörer aber tritt diese Passionsmusik hier als Herzensangelegenheit entgegen. Die extrem versierten Orchestermusiker kultivieren den gestischen Charakter des Leidensweges bewegend intensiv.
„Pygmalion“ vereint (wie Hengelbrocks Neumann-Ensemble) Instrumentalisten und einen bestechend präzisen Chor. Takt für Takt spürt man Vertrautheit, Einvernehmen in dieser Deutung, die viel melancholische Zartheit und auch im Orchester extreme Sanglichkeit umweht, aber den großen Ton des Dramas durchaus nicht meidet.
Apropos Vertrautheit: Mit Julian Prégardien weiß Raphaël Pichon seit Jahren einen Bruder im Geiste an seiner Seite; Prégardiens Evangelist (ohne tenorale „Drücker“, schlank, authentisch) darf zur Weltspitze dieser Partie gezählt werden. Eine starke Einspielung, die einen nicht kaltlässt.