Dortmund. Der Dirigent Thomas Hengelbrock zeigte sich in Dortmunds Konzerthaus auf dem Gipfel seiner Kunst. Das Publikum dankte mit brausendem Beifall.
Donnerstag war im Dortmunder Konzerthaus zu hören, was es bedeuten kann, wenn ein großer Dirigent zu seinen Wurzeln zurückkehrt oder besser gesagt: ihnen stets treu geblieben ist. Man mag es kaum glauben, und doch sind es mehr als 30 Jahre, dass der Geiger Thomas Hengelbrock unter dem Namen Balthasar Neumann ein Orchester und einen Chor gründete. Dass ausgerechnet ein Baumeister Pate stand, dazu später mehr.
Dazwischen ist viel geschehen, Hengelbrock, heute 63, wurde zu den großen Klangkörpern gebeten, dirigierte in Amsterdam oder Wien, kreierte Festivals und war dann Chef der NDR-Philharmoniker, als man die Elphi endlich zum Klingen bringen durfte. Und doch blieb „sein“ Balthasar-Neumann-Ensemble der Fixpunkt des Klang-Universums. Eine Säule darin: Bach. Ein Fundament: jene h-Moll-Messe, die jetzt im Konzerthaus erklang.
Am Ende waren die Besucher stumm vor Glück
Selbst, wer das aus so vielen Schichten (und Bachschen Lebensphasen!) errichtete Werk schon einmal unter Hengelbrock gehört hatte, war wie alle im ausverkauften Saal, am Ende stumm vor Glück. Nach bemerkenswert langer Stille: brausender Beifall. Auch dieser Gegensatz ein trefflicher Spiegel des Gehörten: In den von Trompeten und Pauke getriebenen Sätzen tritt der feuerwerkfunkelnde Hofmusiker Bach hervor, ein ganz anderer Künstler, als jener tiefgläubig introvertiert Schaffende, der uns in dieser Messe so oft begegnet.
Hengelbrock und die (mittlerweile in erheblichen Anteilen verjüngten) Seinen dringen in überwältigender Weise zu Substanz und Tiefe vor. Es regieren extreme Tempi – das Langsame herb langsam, das Schnelle nachgerade in Aufruhr – , aber weder zerfällt etwas in der Dehnung, noch verschwindet etwas in der Rasanz. Im Gegenteil: Die Fülle verdeckter Zeichen – Bachs berühmte Sprache außerhalb der liturgischen Worte – weiß das Orchester (vom unbedeutenden Hornwackler abgesehen) überragend aufzufächern. Da denkt man an den Namenspatron Neumann: Für diese Künstler ist Architektur eben nichts technisch Kaltes. Sie bedeutet die Einsicht, wie und warum noch der kleinste Baustein Platz und Bedeutung in diesem Wunderwerk der Musikgeschichte hat.
Viele Momente, die den Raum beseelen
Apropos Architektur. Kann solche Musik in einem hochmodernen philharmonischen Bau noch das Spirituelle seiner Ursprünge atmen? Und ob. Wie Hengelbrock die Orchesterbegleitung zur gehauchten Sphärenmusik formte, um im „Agnus Dei“ William Sheltons Counter gen Himmel schweben zu lassen, war nur einer von vielen Momenten, die zum Frommwerden schön den Raum beseelten.