Essen. John McLaughlin, der am 4. Januar 80 wird, im Gespräch über Jimi Hendrix, Jimmy Page, Miles Davis und seine Hände, mit denen er ebenfalls spricht.

John McLaughlin geht, falls es geht, im März 2022 auf Deutschlandtournee. Der Brite wurde mehrfach als „Bester Jazzgitarrist“ und „Gitarrist des Jahres“ ausgezeichnet. Er gab Jimmy Page Unterricht, jammte mit Jimi Hendrix und spielte mit Miles Davis auf fünf seiner Studioalben. Der zweimalige Grammy-Gewinner aus Yorkshire ist bekannt für die Verwendung nicht-westlicher Skalen und unkonventioneller Taktarten. Das US-Magazin Guitar Player feierte seinen charakteristischen Sound als einen der „50 Greatest Tones of All Time“. Mit Olaf Neumann sprach John McLaughlin über die revolutionären Sechzigerjahre und seinen 80. Geburtstag am 4. Januar.

Mr. McLaughlin, Ihre Profikarriere begann 1962, als Sie Gitarrist in der Gruppe Georgie Fame and the Blue Flames wurden und regelmäßig mit Alexis Korner jammten.

John McLaughlin: Wenn Sie mit „Profi“ meinen, davon zu leben - nein. (lacht) Die Gigs waren oft nur an Wochenenden. Glauben Sie mir, es war sicherlich nicht genug, um davon zu leben. Ich hatte damals alle möglichen Jobs, um meinen Unterhalt zu bestreiten, wie die meisten Jazzmusiker übrigens. Ich habe zum Beispiel verschiedene Instrumente repariert. Ich wusste also viel über die Struktur einer Gitarre. Mit schlecht bezahlten Jobs wie Lebensmittel ausfahren konnte ich mich immer für ein paar Wochen über Wasser halten. Eine Zeit lang habe ich Londoner Restaurants mit Kaviar beliefert, der mir mit der Zeit selber sehr schmeckte. Aber den kann heute keiner mehr bezahlen.

Ab 1966 waren Sie häufig als Studiomusiker für Stars wie Donovan, Sandie Shaw, Petula Clark, Tom Jones oder Engelbert Humperdinck tätig - an der Seite von Kollegen wie Jimmy Page und John Paul Jones. War das die Zeit, als Sie Jimmy Page Gitarrenunterricht gaben?

Das ist noch ein bisschen länger her. Als ich ihn kennenlernte, war er erst 17 oder 18 und ich drei Jahre älter. Ich war eigentlich kein Lehrer, aber ich wusste mehr als Jimmy. Also unterrichtete ich ihn und sogar einen zweiten späteren Led Zeppelin-Musiker. Ich spielte mal in einer Band namens Herbie Goins and the Night-Timers, zu der auch der Bassist John Paul Jones gehörte. Ich brachte ihm einiges über Jazz-Harmonien bei. Ab 1967 begegneten Jimmy Page, John Paul Jones und ich uns regelmäßig bei Sessions in verschiedenen Londoner Studios, denn es gab einen unglaublichen Aufnahme-Boom. London wurde hip mit der Carnaby Street, der Mode und der Musik. Britische Gruppen wie die Beatles und die Rolling Stones eroberten Amerika, und die dortigen Musiker nahmen wiederum in England Platten auf.

Kurz danach taten sich Jimmy und John Paul mit Robert Plant und John Bonham zu Led Zeppelin zusammen. Sie sollten fantastischen Erfolg haben. Und wie haben Sie den jungen Jimi Hendrix erlebt?

Als Jimi auftauchte, entwickelte er das moderne Blues-Spiel noch einen Schritt weiter. Er war ein wirklich erstaunlicher Gitarrist und beeinflusste jeden. Mich selbst eingeschlossen.

Im Internet findet sich eine faszinierende Jam-Session, die Sie am 25. März 1969 mit Jimi Hendrix in den Record Plant Studios in New York spielten – mit Dave Holland am Bass und Buddy Miles am Schlagzeug. Ist das Ganze authentisch?

Ich habe es mir im Netz nicht angehört, aber ich erinnere diese Session sehr gut. Sie kam durch Mitch Mitchell zustande, dem Schlagzeuger der Jimi Hendrix Experience. Mitch war Tony Williams größter Bewunderer. Mit Tony habe ich zu der Zeit immer gespielt, wenn ich gerade nicht mit Miles Davis arbeitete. Eines Nachts traten Tony und ich im Village Vanguard auf, und Mitch war gekommen, uns zu sehen. Er tat das immer, wenn er in New York war.

Und wie kam es dann zu dieser legendären Session?

Mitch erzählte uns, dass im Electric Ladyland Studio gerade eine große Jam-Session abginge. Jimi befand sich damals in einer Phase des Übergangs. Er hatte die Experience aufgelöst zugunsten der Band Of Gypsys mit Buddy Miles am Schlagzeug und Billy Cox am Bass. Nach unserer Show bin ich dann mit Mitch und dem Organisten Larry Young rüber in Jimis Studio gefahren, wo wirklich eine große Party mit einem Haufen von Musikern im Gange war.

Und dann haben Sie spontan mit Jimi Hendrix von zwei Uhr nachts bis acht Uhr morgens gejammt?

McLaughlin: Ja. Wir sagten: Schalt die Maschine ein und lass sie laufen! Ich spielte in dieser Nacht eine akustische Flat-Top-Gitarre mit Pick-up und Jimi eine elektrische. Jetzt bin ich neugierig geworden, ich werde mir die Aufnahme im Netz noch einmal anhören. Ich hatte es schwer, weil die Lautstärke im Studio kolossal war. Es war auch nicht nur Jimi, der Gitarre spielte, da waren noch zwei andere. Aber ich weiß nicht mehr, wer sie waren. Immer wenn ich meine Akustische aufgedreht habe, kam das Signal zurück. Von diesem Zeitpunkt an wusste ich, dass ich eine echte E-Gitarre spielen musste. Ich bin wirklich neugierig, wie es geklungen hat. Ich nehme an, ein bisschen seltsam.

Gab es keinen Konflikt zwischen dem Stil von Jimi Hendrix und Ihrem?

Nein. Ich habe großen Respekt vor Jimi. Er war ein liebenswerter Mensch, absolut normal und unverstellt. Wir haben uns öfters getroffen, weil ich während des Übergangs von der Experience zur Band Of Gypsys anfing, mit Buddy Miles rumzuhängen. Wir wurden gute Freunde. Buddy lud mich immer zu ihren Shows ein. So lernte ich Jimi näher kennen. Was für ein netter Kerl er war – und was für eine Tragödie, ihn zu verlieren! Sein Einfluss macht sich heute noch bemerkbar.

Miles Davis soll vollkommen verblüfft gewesen sein, als er mit Ihnen im Kino Hendrix in D.A. Pennebakers Dokumentarfilm „Monterey Pop“ zum ersten Mal auf Film sah. Glauben Sie, dass Miles und Jimi harmoniert hätten?

Ich weiß, dass sie sich persönlich getroffen haben, weil ich sie zusammen auf einem Foto gesehen habe. Ich habe aber keine Ahnung, ob sie jemals zusammen gespielt haben. (Anm.: Es ist bekannt, dass Jimi Hendrix und Miles Davis Pläne für gemeinsame Aufnahmen schmiedeten. Paul McCartney sollte auf der Platte Bass spielen). Für Miles war Jimi nicht von dieser Welt. Er staunte einfach nur über ihn. Schwer zu sagen, ob sie musikalisch harmoniert hätten. Warum eigentlich nicht? Ich bin sicher, Miles hätte sich Jimis Stil angepasst. Hendrix war nicht der Typ, der Sachen wie Coltranes „Giant Steps“ spielte, er war ein Blueser. Natürlich hätten Miles und Jimi zusammen Blues spielen können, ohne dass sie sich dabei hätten zurücknehmen müssen. Blues und Jazz sind irgendwie eine Sprache.

Miles Davis und Sie gelten als Wegbereiter des Jazzrock. Wie war es, mit ihm neue Wege zu beschreiten?

Anstatt etwas hinzuzufügen, nahm Miles etwas weg. Er ließ den Bassisten und den Schlagzeuger ein bisschen weniger spielen, um einfach mehr Platz für den Groove zu schaffen, damit dieser sich freier bewegen konnte. Wir hörten ihm sehr aufmerksam zu. Miles war wie ein Bildhauer, der uns Musiker im Studio formte. Es war erstaunlich, wie er das gemacht hat. Er hatte eine Art, mit Musikern zu sprechen, die ich seitdem nicht mehr erlebt habe. Wir alle verehrten ihn. Er war der große Miles Davis, was soll man sagen! Er stoppte einzelne Musiker mitten in einem Groove, während dieser weiterlief. Nur für dieses Gefühl von Space. Einmal hielt er die Band an und ging hinüber zu Lenny White oder Jack DeJohnette und sagte zu ihm mit heiserer Stimme: „Boom. Bomm-ki-boom. Kscht. Okay?” (lacht) So sahen seine Instruktionen an einen Drummer aus. Niemand von uns hatte eine Ahnung, wovon Miles sprach - und genau das war der Punkt.

Ihre Musik verbindet Elemente des Jazz mit Rock, Weltmusik, klassischer indischer Musik, westlicher klassischer Musik, Flamenco und Blues. Gibt es auch Genres, die Sie nicht mögen?

Nein, es gibt nur eine musikalische Sprache! Aber es gibt in gewisser Weise verschiedene musikalische Dialekte. Für mich ist Musik ein großartiges Juwel. Ich bin fasziniert von jeder Art von Klängen, ob indisch, japanisch, chinesisch, amerikanisch, europäisch oder lateinamerikanisch. Sie alle sind eine Facette dieses wunderschönen Juwels. Musik spiegelt die menschliche Seele wider. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum es in meiner Musik so viele Facetten gibt.

Am 4. Januar 2022 werden Sie 80 Jahre alt. Haben Sie als jemand, der sein Leben lang meditiert hat, Angst vor dem Älterwerden?

Nein. Machen Sie Witze, ich werde 80! (lacht) Was kümmert mich das? Es bedeutet mir nichts, es ist nur eine Zahl. Ich lebe seit vielen Jahren ein sehr gesundes Leben. Ich bin so fit, weil ich sorgfältig darauf achte, was ich esse. Ich stamme aus den Sechzigern mit Slogans wie: „Du bist, was du isst!“ oder “Wenn du nicht Teil der Lösung bist, bist du Teil des Problems!“ Das ist für mich heute noch genauso wahr wie damals. Aber die Menschen teilen meine Philosophie heute nicht mehr so sehr. Ich tue, was ich kann, und versuche, ein wenig Frieden und Glück in die Welt zu bringen.

Gibt es etwas, das mit 80 besser ist?

Jeder Tag ist für mich ein Segen. Ich bin absolut gesegnet! Die Zahl 80 ist nur eine Abstraktion und nicht real. Das Einzige, was wirklich ist, ist dieser Moment. Ich spreche gerade mit Ihnen über Dinge, die ich liebe. Ich bin Ihnen sehr dankbar, mit Ihnen über meine Geschichte und meine Musik reden zu können. Ich lebe von Augenblick zu Augenblick und von Tag zu Tag. An meinem 80. Geburtstag werden mich die Leute fragen: „Wie fühlt sich das an?“ Und ich werde sagen: „Gut!“ Und am Tag danach werde ich mich auch richtig gut fühlen.

Ich habe gehört, dass Sie mit Ihren Händen sprechen. Was erzählen Sie ihnen?

Dass sie schön sind und ich sie liebe! Dass ich ihnen sehr dankbar bin. Auf diese Weise habe ich meine Arthritis kuriert. Seit drei Jahren spreche ich täglich bis zu dreimal mit meinen Händen. Früher habe ich mir alle drei Monate Injektionen in die Hände geben lassen. Aber ich habe jetzt seit drei Jahren keine Spritze mehr bekommen, weil ich schmerzfrei bin. Ich mache das jetzt mit meinem ganzen Körper: Ich danke meinem Gehirn, meinem Kopf, meinen Ohren, meinen Augen, meinen Schultern, Armen und Beinen. Ich bin ein wandelndes Wunder.

Zur Person

John McLaughlin: Geboren am 4. Januar 1942 in Doncaster/England, entwickelte der Gitarrist, Bandleader und Komponist sich in den 1960er Jahren zu einem Pionier der Jazz-Fusion. Er verbindet Elemente des Jazz mit Rock, Weltmusik, klassischer indischer Musik, westlicher klassischer Musik, Flamenco und Blues. 1969 nahm McLaughlin sein erstes Soloalbum „Extrapolation“ auf. Danach zog er in die USA, wo er mit Tony Williams’ Band Lifetime und später mit Miles Davis auf dessen elektrischen Jazz-Fusion-Alben mitspielte. Mit seinem Mahavishnu Orchestra entwickelte er in den 1970er Jahren einen technisch virtuosen und komplexen Musikstil, der elektrischen Jazz und Rock mit indischen Einflüssen verschmolz. Für Jeff Beck und Pat Metheny ist der in Monaco lebende John McLaughlin der „größte Gitarrist der Welt“.

John McLaughlin & 4th Dimension live 2022:

3.3.2022 SCHWETZINGEN, Wollfabrik

5.3.2022 NEUNKIRCHEN, Neue Gebläsehalle

7.3.2022 HANNOVER, Theater Am Aegi

8.3.2022 DRESDEN, Alter Schlachthof

11.3.2022 DORTMUND, Konzerthaus

13.3.2022 BASEL, Volkshaus

15.3.2022 BIELEFELD, Rudolf-Oetker-Halle

16.3.2022 BREMEN, Die Glocke

17.3.2022 BERLIN,Admiralspalast

19.3.2022 LUDWIGSHAFEN, Feierabendhaus

21.3.2022 MÜNCHEN, Prinzregententheater