Regisseur Stanley Nelson hat für seinen Film über Miles Davis eine Fleißarbeit vorgelegt: „Birth of the Cool“ zeichnet ein differenziertes Bild.

Jede Musikgattung hat ihre Klischees, auch beim Jazz. Hier kommen die Protagonisten aus der mittleren Großstadt, von wo aus die Besten nach New York gehen und dort zu Weltstars avancieren. Kaum einer hat all das so intensiv verkörpert wie Miles Davis. Der Sohn eines Zahnarztes aus St. Louis beeinflusste ab 1946 rund 30 Jahre lang maßgeblich die Spielarten Cool, Hard Bop und Modal Jazz sowie die Fusion zwischen Jazz und Soul.

Sein exzentrischer Lebensstil pendelte zwischen luxuriösem Statussymbol (Ferrari-Sportwagen für den Hausgebrauch), amourösen Affären mit schönen Frauen (u.a. Juliette Greco und die Schauspielerin Cicely Tyson), Krankheiten und Gebrechen (Sichelzellenanämie, Leber- und Hüftschäden), schwerem Alkohol- und Drogenmissbrauch und ehelicher Gewalt.

Er war Symbolfigur für schwarzes Selbstbewusstsein

Er war Symbolfigur für schwarzes Selbstbewusstsein in einer von Weißen dominierten Musikindustrie und zugleich schärfster Gegenspieler eines Publikums, das sich seine Gunst mit Schmeicheleien erkaufen wollte. Er ging als sensibler Solist und einer der innovativsten Bandleader in die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts ein.

Angesichts dieser Biografie und der beständigen Medienpräsenz bis zu seinem Tode 1991 im Alter von 65 Jahren ist es fast unmöglich, ein Filmporträt über Miles Davis zu erstellen, das noch irgendetwas Neues erzählt. Andererseits hat es bis jetzt keinen Versuch gegeben, der dem Spannungsfeld zwischen Musiker und Mensch erschöpfend und in verträglicher abendfüllender Länge (115 Minuten) gerecht wurde. Stanley Nelson, seit den 90er Jahren veritabler Chronist schwarzer Befindlichkeiten in der US-Gesellschaft, hat für seinen Film in der Zusammenstellung von Fotografien, zeitgenössischen Konzertmitschnitten sowie Interviews mit Davis-Wegbegleitern eine Fleißarbeit vorgelegt.

Meilensteine: „Birth of the Cool“, „Kind of Blue“ und „Bitches Brew“

Der Aufbau ist chronologisch klar gegliedert; Meilensteine des Schaffens wie die Alben „Birth of the Cool“, „Kind of Blue“ und „Bitches Brew“ erfahren angemessene Hervorhebung. Als außerordentlicher Kunstgriff erweist es sich, dass Miles Davis den Film selbst kommentiert, indem Regisseur Nelson den Schauspieler Carl Lumbly engagierte, um persönliche Aussagen in der krächzenden Stimme des Vorbilds einsprechen zu lassen. Das hebt nicht nur die zeitliche Distanz auf, es impft dem Bild- und Filmmaterial eine persönliche Emotionalität ein.

Der Preis dafür ist es, dass der Film im Originalton mit deutschen Untertiteln in unsere Kinos kommt. Der Gegenwert ist eine Filmbiografie ohne eine einzige überflüssige Minute. Ein Film, der informiert und dabei so mitreißend erzählt, dass die Folge davon nur eine sein kann – man hat Lust bekommen auf die Musik von Miles Davis.