Mülheim. Feridun Zaimoglu und Günter Senkel versuchen sich in Mülheim an einer Überschreibung von „Nathan der Weise“. Das ist fordernd – und anstrengend.
Es gibt Theaterabende, da erzählt der Schlussapplaus eine Menge darüber, was sich zuvor auf der Bühne ereignete. Im Mülheimer Theater an der Ruhr sieht man die Schauspielerin Gabriella Weber, die sichtlich am Rand ihrer Kräfte vorn an der Rampe steht. Während sich das Publikum teils lautstark, teils erleichtert für das soeben Gesehene bedankt, fasst Weber ihre beiden Spielpartnerinnen fest an die Hände und drückt ihnen zwei, drei dicke Küsse darauf. Die junge Berit Vander legt erschöpft den Kopf auf die Schulter ihrer Kollegin, als wolle sie sagen: Ein Glück, die Schlacht ist geschlagen.
Die Schlacht kann man in diesem Fall wörtlich nehmen, denn in den knapp zwei Stunden zuvor herrschte auf der Bühne ein inszenatorisches Dauerfeuer. Regisseur Philipp Preuss, ebenfalls künstlerischer Leiter des Hauses, stemmt die Uraufführung von „Nathan.Death“ aus den Federn von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Couragiert und vor allem überaus wortreich versuchen sie sich darin an einer Art Überschreibung von „Nathan der Weise“.
Infos und Termine
Klassische Stoffe waghalsig umzudichten, darin haben das Autorenduo Feridun Zaimoglu und Günter Senkel seit über 20 Jahren einige Übung. Zuletzt war Ende Mai ihre Sicht auf Wagners „Rheingold“ als Open-Air-Theater in Düsseldorf zu sehen.
Die Termine für „Nathan.Death“: 29. und 30. September sowie 1., 2., 3., 7. und 8. Oktober. Karten: Tel. 0208/599 01 88.
Philipp Preuss bietet in Mülheim ein inszenatorisches Dauerfeuer
Lessings Humanitätsdrama von 1779 ist ein Plädoyer für religiöse Toleranz und bis heute ein perfekter Lehrstoff für die gymnasiale Oberstufe. Da scheint es ein zwar mutiger, aber durchaus anregender Versuch zu sein, den klassischen Text auf die Höhe heutiger Konflikte zu führen, die ja kaum weniger hitzig ausgetragen werden als zur Zeit der mittelalterlichen Kreuzzüge, die Lessing so pointiert beschrieb.
Die Bühne von Ramallah Aubrecht bietet dafür den idealen Nährboden. In einem nach hinten abgeschlossenen weißen Kasten, dem laienhaften Bild einer Gummizelle nicht unähnlich, sieht man den drei Schauspielerinnen Sarah Moeschler, Berit Vander und Gabriella Weber zu Beginn dabei zu, wie ihnen die Maskenbildnerin noch rasch ihre Bärte anklebt.
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Sie tragen fleischfarbene Leggins und Shirts mit aufgemalter Brustbehaarung, die sie eindeutig als echte Kerle definieren. Mit wenigen geübten Handgriffen verwandeln sie ihre Bühne in ein Kriegsgebiet. Nebel wabert, Blitze zücken, etwas Wellblech erzeugt fulminanten Lärm.
Tod, Verwüstung und Götterdämmerung
Was dann folgt, ist ein Kraftakt: In anstrengenden, teils ellenlangen Monologen, teils auch in chorischem Sprechgesang (der nicht immer genau gearbeitet ist) erzählen die drei von religiösen Konflikten jedweder Couleur. Das Publikum wird mit einem nicht enden wollenden Traktat aus Tod, Verwüstung und Götterdämmerung quer durch die Jahrhunderte konfrontiert, von den drei Spielerinnen beherzt geschrien oder ins Mikrofon geröhrt.
Und mittendrin im wüsten, oft nur schwer zu durchdringenden Spiel und in kantigen Tanzeinlagen (Choreografie: Nir de Volff) werden schier unlösbare Fragen gestellt: Welche Religion ist die wahre? Welcher Gott ist der richtige? Wann schlägt Glaube in Fanatismus um?
Wenig Hoffnung auf ein friedliches Miteinander
Um darin noch einen letzten Rest Lessing zu entdecken, muss man schon genau aufpassen oder sein Reclam-Heftchen bestens studiert haben. Denn eins scheint klar: Den Funken Hoffnung auf ein friedliches Miteinander der Religionen, den Lessing in seiner Ringparabel verewigte, scheinen Zaimoglu und Senkel schon lang verloren zu haben.
Erst das Ende stimmt halbwegs versöhnlich: Preuss lässt den hinteren Teil der Bühne abbauen und verwandelt den kargen Kasten in eine bunt schimmernde Himmelswolke, wo aus den „311 Gottesdefinitionen“ von Valère Novarino gelesen wird. Wo verbirgt sich Gott, wo steckt der Teufel? Für all die Oberstufenschüler, die sich diese Aufführung jetzt ansehen, dürfte das eine kniffelige Frage werden, und auch mancher Premierengast verlässt den Saal nachdenklich: „Nichts verstanden, aber super war’s“, meint einer.