Düsseldorf. Düsseldorfs Schauspiel wagt sich als erstes NRW-Theater im großen Stil nach draußen. „Das Rheingold“ als „andere Geschichte“ ist kein großer Coup,

„Ab 16h sollte doch die Sonne scheinen“, sagt eine Mittsiebzigerin, rückt erst die nerzbraune Zopfmusterstrickmütze zurecht, dann wischt sie von den Brillengläsern: Regentropfen. Sollte! Theater hat ja auch viel mit dem Wunsch nach einer besseren Welt zu tun.

Und dann geschieht doch so etwas wie das kleine Wunder von Düsseldorf: Von einem minutenkurzen Hauch nebelfeuchten Niesels abgesehen, wird es drei Stunden lang trocken bleiben an diesem Premierenabend, an dem es um viel geht. Erstens: überhaupt wieder zu spielen nach der längsten Vorhangschließung seit dem Krieg. Zweitens: es sicherheitshalber draußen zu tun. Ernste Kunst als Open Air also - aber als wir gegen 21h auf der Tribüne bei eisigem Wind und sieben Grad angekommen sind, ahnen wir einmal mehr, dass Pempelfort wohl nie Verona sein wird. Drittens, weil doch Donnerstagabend vor dem Schauspielhaus nicht weniger verhandelt wurde, als die Vorstufe zum mythengesättigten Weltenbrand, „Das Rheingold. Eine andere Geschichte“.

Anders? Das ist ein ziemlich voll genommener Mund. Zwar haben Feridun Zaimoglu und Günter Senkel Richard Wagners Vorabend zum Nibelungenring mit satten Saga-Details angereichert, schenken dem kapitalismusgetriebenen Machtgeflecht aus Zwergen, Göttern, Riesen mehr individuelle Linien, das allerdings tun sie in einem Hang zu Wiederholung und Geschwätzigkeit, der jeder Theaterpraxis ein Beinchen stellt.

So tut sich ein erfahrener Regisseur wie Roger Vontobel schwer. Die Schauspieler hangeln sich tapfer durch einen an Spannungslöchern nicht armen Dreistünder. „Herrlich vital vom Staub der Jahrhunderte“ (rheinische Dramaturgenprosa) wird hier wenig befreit. Was wir szenisch sehen, ist freilich jedem halbwegs tapferen Operngänger schon dutzendfach als Zugriff aufgetischt worden. Wie erwartbar Vontobel das Personal auffährt: Neureiche Schlichtheiten sind die Götter, Alberich ein Schmuddelkind mit Allmachtsfantasie, ein aasiger Androgyner der zündelnde Halbgott Loge - Standards mehr oder minder, Tiefe und Substanz schenkt die Inszenierung dieser „anderen Geschichte“ selten. Daran ändert auch der vehemente Kitschfaktor des lebendigen „Rheingold“ nichts – ein Rollschuhballett zum Weglaufen.

Abgestanden Avantgarde gilt auch für Bühne und Kostüme: Ellen Hoffmann stattet das Ensemble ohne Überraschung aus, von Göttern im billigen Zuhälterglanz (Deals werden im Caravan gemacht) übers Show-Geglitzer der Rheintöchter bis zu den verschossenen Latzhosen jener harten Malocher Fasolt und Fafner, die Wotan sein neues Heim „Walhall“ zimmerten und von der höchsten Instanz geprellt werden. Die Teile eines Militärflugzeugs, die Ansgar Prüwer auf den Gustaf-Gründgens-Platz hat niederstürzen lassen, haben ihr Brüderchen seit Jahren im ramponierten Sikorsky-Hubschrauber von Hilsdorfs „Ring“ – an der ein paar hundert Meter weiter gelegenen Rheinoper.

Im Ensemble (ausgerechnet Göttervater Wotan enttäuscht mit dem ziemlich monochrom agierenden Florian Claudius Steffens) gibt es die schönsten Momente bei den Comprimarii: Den Riesen Andreas Grothgar und Thomas Wittmann zuzuschauen, ist eine Lust - sie überwinden Stereotypen, zeigen hinter Rüpeln zärtliche Proleten, bei denen selbst das Verschlagene den Charme erdiger Komik hat.

Von der Musik könnte man schweigen. Sie hat im Live-Trio auf der Bühne wenig Eigenes, rührt hemmungslos Wagners Motivglöckchen, dies allerdings auf dem Niveau alter „Ekseption“-Hits. Immerhin: Selbst E-Gitarren bringen es halbwegs auf Es-Dur, Wagners klanglicher Ursuppe, aus der die die ganze Malaise erwächst.

Die größte Schönheit schenkt diesem Abend, der am Ende stürmisch bejubelt wird, ein alter Bekannter: Der elegante, in frischem elfenbeinweiß strahlende Silhouettenschwung des Düsseldorfer Schauspielhauses schließt die Bühne nach hinten. Der Zuschauer weiß vom qualvollen Weg der Sanierung, „Die Burg ist fertig.“ Freuen wir uns darauf, bald wieder drinnen am prasselnden Lagerfeuer eines größeren Theaterereignisses sitzen zu dürfen.

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INFOS ZU KARTEN

Der Theaterhunger scheint nach der langen Pause groß. Dennoch gibt es für alle „Rheingold“-Termine (29./30.5; 3./4./5.6) noch wenige Karten (31€, sichtbehindert 5€).

Der Besuch ist nur mit Tests und Maske möglich. Detail-Info: www.dhaus.de