Essen. Der pure Künstler: Der Weltklasse-Pianist Grigory Sokolov war zu Gast beim Klavier-Festival Ruhr 2021 – und begeisterte das Publikum in Essen.

Grigory Sokolov gastierte nun schon zum 23. Mal beim Klavier-Festival Ruhr – und doch ist jedes Mal sein Recital ein Ereignis der besonderen Art. Ihn, einen der größten Pianisten der Gegenwart, einen „Star“ zu nennen, griffe zu kurz, denn in seiner zurückhaltenden und durchgeistigten Art ist der 71-Jährige ein wohltuender Gegenentwurf: der pure Künstler, bescheiden im Auftritt, aber einzigartig in der Interpretation.

Lange und penibel grübelt er über seine Konzertprogramme, gibt sie erst spät bekannt. Im Saal lässt er das Rampenlicht auf sanften Kerzenschein herunterdimmen und den Steinway für den zweiten Werkblock nachstimmen. Diesmal waren es Chopin-Polonaisen und Préludes von Rachmaninow, mit denen Sokolov die Zuhörer in der (corona-formatig) ausverkauften Essener Philharmonie beglückte.

Grigory Sokolov: Pianist mit Wunderhänden

Nicht auf äußeren Kontrast angelegt, sondern auf innere Kohärenz. Das Verblüffendste: Meint man den weltmännischen Rachmaninow als glamourösen Salonlöwen zu kennen, entpuppte er sich hier in den Wunderhänden des Pianisten mit den Zehn Préludes op. 23 in engster stilistischer Verwandtschaft zum hochsensiblen polnischen Wahlfranzosen. Über zwei Stunden Chopin am laufenden Band sozusagen.

Mucksmäuschenstill war es, wenn Sokolov in den Polonaisen den erzählerischen Duktus im natürlichen Tempo rubato hervorkehrte, den Zauber der changierenden Farben verströmte oder in vollgriffiger Opulenz den spätromantischen Russen vorwegnahm, die „Héroïque“ aber ungemein warmtönend statt kraftmeiernd entwickelte.

Wie eine einzige Liebeserklärung an Chopin

Umgekehrt hörte man Rachmaninow wie eine einzige Liebeserklärung an Chopin – ohne Oberflächenglitzer und Pathos, dafür im Dreiklang von Gesanglichkeit, stimmlicher Plastizität und wirkmächtigen Aufschwüngen.

Am Schluss wollten Applaus und Zugaben kein Ende nehmen. Welch ein Abend!