Fünf Pianisten spiegeln in neuen CDs den Reichtum ihres Faches. Wir stellen starke Neuerscheinungen von Bach bis Strawinsky vor.

Ein Jahr mit Mozart

Immer schon haben wir Leif Ove Andsnes als Großen ohne Größenwahn erlebt; freilich galten Faszination und Respekt zumeist einem romantischem Repertoire von Chopin bis Liszt über Grieg und Rachmaninow. So gesehen ging der Pianist zuletzt („Beethoven Journey“) musikhistorisch rückwärts. Nun ist er bei Mozart angekommen – und sein Spiel darf ein Ereignis genannt werden. Die Reife, die Tiefe und Subtilität, mit der der Norweger den Kosmos des Komponisten durchmisst, kreist auf „Mozart Momentum 1785“ (2 CDs, Sony) um ein einziges Schaffensjahr. Hier entstanden die Klavierkonzerte 20 bis 22, die zukunftsweisende c-Moll-Fantasie, die Maurerische Trauermusik und das g-Moll-Klavierquartett. Bei den drei Konzerten darf Andsnes auf das hochsensible, dennoch erzmusikantische Spiel des Mahler Chamber Orchestras bauen. Den Pianisten hören wir fern aller Weichzeichnerei, ein glasklares Spiel von heiligem Ernst. Großartig!

Bach in romantischen Farben

Die strenge Bewegung des Originalklangs hat vor allem die Barockmusik derart machtvoll im Griff, dass sich Francesco Piemontesis Albumtitel „Bach Nostalghia“ (Pentatone) leicht erklärt. Der Schweizer und Wahl-Berliner erinnert an die Zeit, als vor allem Ferrucio Busoni (aber auch Wilhelm Kempff) Bach für den schwelgerischen Klang des modernen Flügels so ungeniert wie geschmackvoll übersetzten. Piemontesi widmet sich Chorälen, Sonaten und Fugen mit jener Hingabe, die Pathos und große Emotion ganz bewusst nicht scheut. Das Ergebnis ist ein mitreißendes Album, auch wegen des Mutes, sich bei so viel Bach-Substanz in einem großen Stück vor Busoni als Komponisten (mit der vielfarbig schillernden Toccata 287) zu verneigen.

Doppel aus einem Guss

Das blinde Vertrauen, die traumwandlerische Souveränität, die pyrotechnische Lust, mit denen die Brüder Jussen als Klavierduo auftrumpfen, hat nicht nur bei ihren Auftritten an der Ruhr das Publikum von den Sitzen gerissen. Auf ihrer jüngsten CD weht ein kräftiger Ostwind. Für „The Russian Album“ (Deutsche Grammophon) fahren Lucas und Arthur herrliche (teils gar vergessene) Literatur auf. Strawinskys listige Rhythmik bereitet ihnen ebenso wenig Mühe, wie in die brodelnden Doppelbödigkeiten Schostakowitschs (Concertino) und fragilen Maskeraden Rachmaninows (Suite Nr 2) einzutauchen. Die jungen Niederländer wagen was: Das ist kein Easy-Listening-Album, auch wenn es am Ende mit zwei Perlen des vergessenen Anton Arensky (1861-1906) etwas Petersburger Parfüm gibt, in kleinen Flakons beseelter Salonmusik.

Reichtum des Einfachen

Am Klavier kann die Bearbeitung berühmter Werke bekanntlich zu den tollsten Mutationen führen, Schuberts muntere Forelle etwa erlangte an der Angel Franz Liszts die pianistische Dimension eines weißen Hais. Martin Stadtfeld – nicht selten für eine Überraschung gut – geht den umgekehrten Weg. Aus groß besetzten Werken, Chören und Arien zumal, schält er sozusagen den sanglichen Kern heraus. Diese von Stadtfeld zart, aber mit äußerst kreativem Geist hingetupften Miniaturen reichen von Händel-Opern über Bach-Choräle („Schafe können sicher weiden“) bis zu Kunstliedern Schuberts und Schumanns, zu Beethovens „Pastorale“ und Mozarts „Zauberflöte“. Skelettiert sind sie dadurch nicht. Martin Stadtfelds Album„Piano Song Book“ (Sony) arbeitet beherzt und kreativ ein zentrales Wesen der Musik heraus: die Schönheit der Melodie. Wir hören nicht zuletzt den Reichtum im Einfachen. Zehn Eigenkompositionen ergänzen das Album. Und ein Leitmotiv seiner Arbeit pflegt der Künstler mit der jüngsten Schöpfung auch: Große Musik soll für Laien erlebbar und spielbar sein – Stadtfelds Bearbeitungen erscheinen als Noten im renommierten Musikverlag Schott.