Mülheim. Kulturmanagerin? Programmdirektorin? Festivalmacherin? - die Belgierin Frie Leysen organisiert 2010 das Programm für das "Theater der Welt" in Essen und Mülheim. Radikal im Anspruch, verbunden mit dem Wunsch andere sehen zu machen, plant Leysen ein Fest der kreativen Energie.

Frie Leysen, hatten Roberto Ciulli und Anselm Weber enthusiastisch gesagt, sei ein Glücksfall, für die Kulturhauptstadt und für „Theater der Welt”. Die Theaterchefs, die das Festival nach Mülheim und Essen eingeladen haben, sind die Leiter, doch über das Programm entscheidet die Frau aus Brüssel allein. Kein Einspruch, kein Veto. Vertrauen. Donnerwetter.

Sie trägt die Verantwortung mit einem Lachen. Kraftvoll, offen, aufmerksam; die Worte stehen nur scheinbar im Widerspruch dazu. „Man sagt, meine Festivals wären dunkel. Ich antworte: Wenn Künstler heute die Welt analysieren, entsteht nichts Frohes. Kein Clowns-Festival.”

Die Welt braucht Schönheit

Ihre Festivals sind Legende: das Internationale Kunstcentrum de Singel in Antwerpen, das Kunsten-FestivaldesArts in Brüssel; beide hat sie gegründet und lange geleitet. Dann ein Festival in neun arabischen Städten. Und jetzt ist sie in Mülheim, im Ringlokschuppen; füllt Becher mit grünem Tee, fragt, ob sie eine Zigarette rauchen dürfe. Es werden ein paar mehr.

Was erwartet uns bei ihrem Festival? Sie ist interessiert an Kunst, die Tanz, Theater, Film miteinander verbindet, das sei die Kunst der Zukunft. „Es gibt hier ein großes Angebot an Klassik, aber wenig scharfe Avantgarde.” Sie schätzt die Ruhr Triennale, PACT Zollverein; Pina Bausch hat ihr Leben verändert.

Ist sie Kulturmanagerin? Programmdirektorin? Festivalmacherin? Nein, sagt sie fröhlich, für ihren Beruf gibt es keinen Namen; übrigens hat sie Kunstgeschichte studiert. Mittelalter. Warum? „Weil die Welt Schönheit braucht.” Sie sagt das mit großer Gelassenheit; Frie Leysen verliert sich nicht in Emotionen. Sie sieht sehr klar und will andere sehen machen.

Und Künstlern eine Chance geben, jungen Künstlern aus aller Welt; sie will ihnen Orte schaffen, wo sie ohne politischen, ökonomischen, ästhetischen Druck arbeiten können. „Ich will zeigen, wie sie in die Welt hineinsehen. Wenn ihre Analyse gut ist und eine gute künstlerische Form hat, dann ist es auch in Essen interessant, was ein Chinese denkt. Dann kann er mir helfen, meine eigene Welt neu zu sehen.” Sie fügt hinzu: „Wir haben immer noch so eine imperialistisch-koloniale Sehweise, dass wir uns gar nicht fragen, was machen die Leute in Afrika, Australien oder Indonesien. Wir sehen sie höchstens exotisch.” Jetzt lacht sie ärgerlich.

Man muss die Vision spüren

War sie immer so radikal in ihrem Anspruch? „Ja”, sagt sie langsam, „in dem Sinne, dass ich es nicht ertrage, wenn etwas dumm ist. Ich muss fühlen, dass der Künstler mir etwas zu sagen hat. Sonst bin ich – very angry.” Sie lächelt; offenbar selbst überrascht von diesem englischen Sprachbrocken.

Dann zögert sie kurz und sagt, natürlich müsse ein Festival auch ein Fest sein – aber das Festliche liegt im Konzept. „Da muss man spüren, dass jemand eine Vision hat, und dass er die Notwendigkeit spürt, sie mitzuteilen. Wie der Marthaler, der ist so witzig und gleichzeitig zeigt er einen Spiegel. Er zeigt diesen kleinbürgerlichen Faschismus, man lacht und dann realisiert man: Oh, das bin ja ich.”

Nein, sie wird weder ihn noch andere Regiestars verpflichten, sie holt die Jungen, von denen sie hofft, dass sie morgen die Großen sind.

Konzentration kreiert Energie

Das Programm

Die Reihe „Schöne Aussicht” stellt Künstler und Ideen von „Theater der Welt” vor. 6. 11., 20.30 Uhr, Essen, Grillo Theater: Frie Leysen über die Suche nach Künstlern. 12. 11., 20 Uhr, Essen, PACT Zollverein: Frie Leysen im Gespräch mit Romeo Castellucci. 14. 11., 19 Uhr, Essen, PACT Zollverein: Künstlergruppe „Berlin” zeigt Film über die Zwerg-Stadt „Bonanza” in den Rocky Mountains.

Aber – was ist denn nun anders bei einem Festival als beim Stadttheater? Frie Leysen legt den Kopf schief: „Ein Festival ist wie ein Elektroschock. Welcher normale Mensch geht in einer Woche fünf Mal ins Theater? Beim Festival sagen wir: Bitte kommen Sie sieben Mal! Und auch, dass so viele Künstler zusammen sind, diese Konzentration an Kunst – es kreiert Energie.”

Was wäre noch zu sagen? Dass die Preise niedrig sein werden. Dass es nach jeder Vorstellung Diskussionen geben wird. Und dass ein Festival-Zentrum eingerichtet wird, wo Besucher mit Künstlern ein Glas trinken können.

Also doch ein Fest; eins, bei dem gedacht werden darf.