Essen. Ehrgeiz, Talent und der unbedingte Wille zur Expansion zeichneten Franz Haniel aus. Er war ein wagemutiger Pionier auf verschiedensten Gebieten des Bergbaus. Haniel ist einer der "Köpfe der Ruhr" - die in einem neuen Buch des Klartext-Verlags vorgestellt werden.
„Sucht man einen Leitfaden durch die oft verwirrenden geschichtlichen Entwicklungen während der ersten 60 bis 70 Jahre Ruhrgebietsentstehung, dann bietet sich dem Historiker Franz Haniels Lebenslauf geradezu an. In seiner Person und in seinen Unternehmungen erscheinen eine Reihe von typischen Zügen der rheinisch-westfälischen Industrie der frühen Zeit verdichtet und anschaulich erkennbar. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ist Franz Haniel an führender Stelle an fast allen wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen und Neuerungen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet beteiligt“ (Herzog/Mattheier 1979: 9).
Geschäftstüchtig
Die aus Flandern stammende Familie Haniel ist in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Westen Deutschlands gekommen. Franz Haniel (1779-1868) ist zweieinhalb Jahre alt, als sein Vater, der Duisburger Kaufmann und Weinhändler Jacob Wilhelm Haniel (1734-1782), stirbt. Der Mutter Aletta, Tochter des Jan Willem Noot, gelingt es, den Handel mit Wein und Holz sowie das Speditionsgeschäft weiter zu betreiben und auch auszubauen. Hauptsitz ist das so genannte Packhaus des Jan Willem Noot in Ruhrort, heute ein Stadtteil von Duisburg, andere sprechen von der Haniel-Zentrale. Obwohl Franz Haniel das jüngste seiner elf Geschwister ist, erkennt die Mutter bald, dass es sich bei ihm um den geschäftstüchtigsten Haniel handelt.
Schon im zweiten Lebensjahrzehnt leitet Franz Haniel mit seinem Bruder Wilhelm Gerhard und seiner Mutter das Geschäft. Da ihm aus der Erbmasse sowohl seines Vaters als auch der Familie Noot Geldmittel zur Verfügung stehen, eröffnet er 1800 im Alter von 21 Jahren eine Steinkohlenhandlung in Ruhrort. Schon 1805 erwerben Franz und Gerhard Haniel sowie der Schwager Gottlob Jacobi Anteile an den Hütten St. Antony, Gute Hoffnung und Neu-Essen. Diese drei Werke werden 1808 unter der Bezeichnung „Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel & Huyssen“ – der unmittelbaren Rechtsvorgängerin der späteren Gutehoffnungshütte Aktienverein (GHH-Konzern seit den 1870er Jahren) – zusammengefasst. So entsteht das älteste Montanwerk des Ruhrgebiets. Über 25 Jahre lang wohnt Franz Haniel alle vier Monate jeweils einen Monat in Sterkrade, um in der GHH als aktiver Leiter tätig zu sein (Herzog 1979: 134 ff.; Spethmann 1956b: 348; Spethmann 1956a: 51 ff.).
Selbständig
Gleichzeitig erweitert Franz Haniel ständig sein eigenes Ruhrorter Kohlengeschäft. Er verfrachtet die Kohlen nach Holland und, als die Zölle dies erschwerten, zunehmend nach Oberdeutschland. Als er später ins Zechengeschäft einsteigt, führt er nicht nur die eigene Kohle seinen Hütten zu, er vertreibt auch, auf eigenen Fahrzeugen, die selbst geförderte Kohle. Seine Mutter Aletta erkennt, dass Franz „alle Mitglieder der Familie an Klugheit, Geschick und Tatkraft überragte“ (Spethmann 1956b: 349) und sieht in ihm ihren Nachfolger. Franz macht sich finanziell selbständig und liquide, um das „Packhaus“ nach dem Tode der Mutter 1815 als Alleinbesitzer aus dem Nachlass erwerben zu können.
Ab 1815 beginnt er, sich im Bergbau praktisch zu betätigen. Im Ruhrtal bis nach Blankenstein kauft er Anteile an mehreren Gruben. Insbesondere nach der Sezession Hollands gehört Franz Haniel zu denjenigen, die Zechen aufkaufen, um den holländischen Markt zu beliefern. Franz Haniel gehört auch zu denjenigen „Gewerken“, die aktiv gegen das Direktionsprinzip kämpfen, d. h. gegen Frhr. vom Stein und Heinrich Heintzmann. Haniel ist vielleicht neben Lueg jener Industriepionier, dem die erste Deregulierung in Preußen durch Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein – von der Einführung der kommunalen Selbstverwaltung über die Gewerbefreiheit, die die Vorschriften der Zünfte und Privilegien der Landesherren verdrängte, bis zur Abschaffung der Leibeigenschaft – am deutlichsten zugute kommt. Wie Preußen, das sich von diesen rechtlichen Fesseln 1807/08 löst, wird er zum Vorreiter der Industrialisierung auf dem Kontinent.
Bergbau-Pionier
Die Autoren und ihr Buch
Der Band "Köpfe der Ruhr" stellt die Entwicklung und den Alltag des Ruhrgebiets anhand von 50 Biografien dar. Sie wurden in aufeinander folgenden Generationen nach Schichtzugehörigkeit und Beruf ausgewählt. 200 Jahre Industriegeschichte und Strukturwandel werden rekonstruiert, in denen die Akteure als Eigentümer und Manager, Erfinder und Funktionäre, Unternehmer und Arbeitnehmer in Institutionen und Gesellschaftsstrukturen auftreten.
Georg W. Oesterdiekhoff ist Sozialwissenschaftler. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind die Soziologische Theorie und der soziale Wandel. Oesterdiekhoff hat bereits 21 Bücher und 180 Artikel veröffentlicht.
Hermann Strasser war 1977 bis 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind die Soziologische Theorie, die soziale Ungleichheit und der soziale Wandel (Klassenstruktur, Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum, Kultur, soziales Kapital). Strasser ist Inhaber eines Instituts für professionelle Texte in Ratingen und regelmäßiger Kolumnist in führenden Tageszeitungen.Er veröffentlichte mehr als 200 Aufsätze und 30 Bücher.
Auf den verschiedensten Gebieten des Bergbaus ist er Pionier, im Zechentiefbau ebenso wie in der Beseitigung des Direktionsprinzips und im linksrheinischen Bergbau. So setzt er gegen den langwierigen Widerstand der Bergbehörde durch, dass auf der Zeche Schölerpad 1832/33 Tiefbau betrieben wird. Und 1833 wird dort in einer Tiefe von 32 und 90 Metern das Steinkohlengebirge erreicht – damals der tiefste Schacht im Revier. Dieses Ergebnis veranlasst das Essener Bergamt, seine Einstellung zum Tiefbau zu ändern.
Haniel erkennt, dass die Nachfrage nach Kohle nur befriedigt werden kann, wenn man an die Kohle unter der mächtigen Mergeldecke gelangt, die sich nordwärts des Ruhrreviers befindet, das ungefähr an der Städtereihe Mülheim-Essen-Bochum-Dortmund-Unna aufhört und über dem Karbon liegt.
Unter der Mergeldecke
1831 teuft Haniel den Schacht Franz in der Nähe von Borbeck ab. Nach jahrelangen Bohrungen gelingt es, einen Kohlenflöz zu erreichen. Das eindringende Wasser wird mit 25 PS-Dampfmaschinen der Gutehoffnungshütte abgepumpt. Aber der Schacht ist zu tief, als dass der Abbau rentabel vollzogen werden kann. Immerhin hat Franz Haniel zuerst gezeigt, dass die Mergeldecke durchstoßen werden kann, und aufgezeigt, dass sich der Kohlentiefbau aus dem Ruhrtal nordwärts verlagern wird.
Auf der Zeche Kronprinz gelingt es dann Haniel als erstem, die unter der Mergeldecke liegende Kohle auch tatsächlich zu fördern. Aber ihre Qualität ist nicht gut. Erst auf der Zeche Oberhausen sind die jahrelangen Bemühungen 1857 erfolgreich, in über 200 Meter Tiefe Flöze anzubohren, die auch abgebaut werden können. Die Zeche Oberhausen wird der Gutehoffnungshütte angeschlossen, d. h. sie wird die erste Hüttenzeche des Reviers, die Kohle für die Eisenproduktion selbst abbaut. Über Jahrzehnte ist Oberhausen auch die einzige Hüttenzeche des Reviers (Spethmann 1956a: 167 ff.).
Mut zum Tiefbergbau
Haniel ist zudem der erste, der mit der Zeche Rheinpreußen in Homberg auch den linken Niederrhein für den Tiefbergbau erschließt. Schon seit Jahren nahm man an, dass das Karbon des Reviers sich unter dem Rhein nach Westen fortsetze und mit dem Aachener Revier zusammenhänge. Aber niemand wagt den Abbau, weil eine zu große Tiefe und gefährliche wasserhaltige Schwimmsande vermutet werden. 1851 beginnt Haniel mit der Errichtung von Rheinpreußen. Erst 20 Jahre später werden die gewaltigen technischen Schwierigkeiten überwunden, die einem Abbau im Wege stehen. Dementsprechend fällt auch das Resümee Spethmanns aus, was die Leistungen Haniels für den Bergbau betrifft: „Unter den zahlreichen Bergbautreibenden der Ruhr gibt es bis zum heutigen Tag niemanden, der eine gleich große Zahl derartiger Taten vollbracht hätte. Der Ruhrbergbau ist ihm für diese Pionierzechen, wie wir sie nennen möchten, zu allergrößtem Dank verbunden“ (Spethmann 1956b: 358; vgl. auch Herzog 1979: 142 ff.).
Als Haniel im Bergbau anfängt, hat er an keiner Grube Anteile. Planmäßig hat er im Revier Gruben eingekauft und nutzt die neuen geologischen Forschungen und technischen Kenntnisse für den Ausbau seines Bergwerksbesitzes. Ferner sagt man ihm nach, dass er die Bergbaubestimmungen oft besser kenne als die Behörde. Bei seinem Tode ist Haniel der größte Bergwerksbesitzer des Reviers; seine Rentabilitätsberechnungen sind von vornherein auf Jahrzehnte angelegt gewesen. Und viele seiner Zechen bringen tatsächlich erst nach Jahrzehnten Gewinne, so dass sich oft erst seine Nachkommen der Früchte seiner Investitionen erfreuen können (Spethmann 1956b: 358).
Kohle-Veredelung
Haniel fördert und vertreibt nicht nur Kohle, sondern veredelt sie auch. Im Revier gelingt es erst den Sterkrader Hütten 1812, Steinkohle abzuschwefeln und Koks zu produzieren. 1821 lässt Haniel auf Schölerpad den ersten geschlossenen Koksofen errichten, der den alten Kohlenmeiler verdrängt. Schon 1843 besitzt Haniel 36 einfache und 33 doppelte Koksöfen. Damit ist er auch der größte Koksproduzent des Reviers. Zum Teil wird der Koks sowohl für eigene als auch für fremde Eisenhütten verwendet, zum Teil auch für den Antrieb der Eisenbahnen und ferner für den Export nach Holland (Spethmann 1956a: 124 ff.).
In der Entwicklung der kontinentalen Dampfschifffahrt ist Holland führend gewesen. Im Jahre 1829 wird im Ruhrorter Hafen eine der Gutehoffnungshütte gehörende Werft gegründet, auf der mit verschiedenen technischen Neuerungen ausgestattete Dampfschiffe hergestellt werden (Herzog 1979: 139 ff.; Spethmann 1956a: 138 ff.). Haniel selbst gründet 1844 die Ruhrorter Dampfschleppschifffahrts-Gesellschaft. Mit einer Rheinflotte von 80 Schiffen steht Haniel schließlich auch an der Spitze der Rheinschifffahrt (Spethmann 1956b: 357).
Rekorde
Trotz dieser Diversifikation sollten nicht die Anfangsgründungen Haniels vergessen werden. Aus seinem Kohlengeschäft entsteht eine der größten Kohlenhandlungen und schließlich eine der größten Handelsfirmen des Reviers. Auf der Gutehoffnungshütte wird 1817 der erste Hochofen angeblasen, 1820 eine Dampfmaschine eingerichtet, ab 1838 werden Dampfmaschinen gebaut und 1839 geht die erste Lokomotive der Gutehoffnungshütte in Produktion. Ab 1842 werden Eisenbahnschienen fabriziert. 1843 beschäftigt das Unternehmen 1000 Arbeitskräfte und 1858 schon 3558. Das Puddel- und Walzwerk in Sterkrade produziert 1865 bei einer Belegschaft von 1220 Arbeitern die größte Menge an Stabeisen und Schienen im ganzen Land. Kein anderes deutsches Unternehmen kann ähnliche Zahlen aufweisen, wie Spethmann (1956a: 86 ff.) nachweist. 1868 stirbt Franz Haniel im Alter von 88 Jahren in Ruhrort.
Ökonomischer Gigant
Ohne Zweifel gehört Haniel zu dem kleinen Kreis von Unternehmern, die in der Phase bis 1870 das Ruhrgebiet am stärksten geprägt haben. In fast allen Sparten der Frühindustrialisierung betätigt sich Haniel: Bergbau, Hüttenbetriebe, Schifffahrt, Eisenbahnen, Handel und gewinnt erste Plätze. Haniel ist ein echter Industriekapitän, ein ökonomischer Gigant. Ohne Zweifel hat er gute Voraussetzungen, großen Ehrgeiz und viel Talent, die ihn dazu befähigen, industriell zu expandieren.
Obwohl Haniel im Gegensatz zu Harkort ein tatkräftiger Kaufmann ist, haben sie doch mancherlei Gemeinsamkeiten. Sie betreiben ähnliche und jeder von ihnen zahlreiche Projekte; Haniel wird neben Harkort zum Ehrenmitglied des 1858 gegründeten Vereins für bergbauliche Interessen gewählt (Herzog 1979: 150). Gleichwohl fällt bei den Haniels wie auch bei den Harkorts und Heintzmanns ihre protestantische Religiosität auf. Angeblich soll die hugenottische Herkunft die Haniels in ihrer Unternehmertätigkeit stark beeinflusst haben. Die Haniels und Noots sind jahrhundertelang unternehmerisch tätig gewesen (Herzog 1979: 150). Die These von Max Weber über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus erfährt in der Person Franz Haniels eine anschauliche Bestätigung.