Stockholm. . Dylan fehlte, über die Gründe darf spekuliert werden. Blick auf einen Nobelpreisträger für Literatur, den man aus verschiedenen Gründen wohl nicht vergessen wird.

Als Bob Dylan im Jahre 2000 den Polar-Preis zugesprochen bekam, den sie „Nobelpreis der Musik“ nennen, da holte er ihn sich noch selbst ab. Dass ihm König Carl XVI. Gustaf eine Auszeichnung überreicht, dürfte also kaum mehr einen so großen Bammel bei Dylan auslösen, dass er am Samstagnachmittag nicht nach Stockholm kam, um den Literatur-Nobelpreis entgegenzunehmen.

Aber die Abwesenheit der Geehrten bei der Preisverleihung ist zur grassierenden Mode geworden. Während Jean-Paul Sartre 1964 nicht kam, weil er Charakter beweisen wollte und den Preis ablehnte, sind zuletzt Elfriede Jelinek (2004 wegen „sozialer Phobie“) sowie die allzusehr in Ehren ergrauten Harold Pinter (2005), Doris Lessing (2007) und Alice Munro (2013) nicht oder nur per Video-Botschaft in Stockholm gewesen.

Schwundstufe der Rebellen-Geste

Dylan jedoch, in diesem Jahr 75 geworden, ging erst wochenlang nicht ans Telefon und beteuerte vor seiner Absage, er werde zur Preisverleihung nach Stockholm kommen, wenn es ihm „irgend möglich“ sei; aber von einem, der schon ganze Konzerte mit dem Rücken zum Publikum absolviert hat, sollte wohl niemand mustergültige Manieren erwarten; Dylans würdelose Nobel-Flegelei gemahnt seltsam an die Kindertage der Rockmusik, als Hotelzimmerzerlegen noch die bevorzugte Trendsportart war. Jetzt richtet sich die Schwundstufe einer Rebellen-Geste gegen ein Establishment, zu dem der Rock längst dazugehört. Als einer der Altvorderen hat Dylan oft versucht, allen Festlegungen zu entkommen, mit immer neuen Wendungen, zum Country, zum Judentum, zum fundamentalistischen Christentum, zu Schwarzmalerei, populärem Jazz und allem, was da noch kommen mag.

Am Samstag ließ er nun Azita Raji, US-Botschafterin in Stockholm, seine Dankesrede beim Festakt verlesen: „Ich war unterwegs, als mich diese überraschende Nachricht erreicht hat und brauchte mehr als ein paar Minuten, um das richtig zu verarbeiten“ – eine Art Entschuldigung, die wohl mehr noch ein ironischer Affront war.

Demütigung für andere Favoriten

Wenn Dylan in seiner Dankesrede betont, er habe sich „nie vorstellen können, den Literaturnobelpreis zu bekommen“, vereint er sich im Gestus der Bescheidenheit mit Literaturkritikern wie Dennis Scheck, der noch einmal betonte, er halte die Verleihung für „einen Witz“ der schwedischen Akademie für Dichtung, über den man mit ihr gemeinsam lachen solle, kurz. Aber Dylans Nobelpreis ist mehr: Philip Roth, Don DeLillo und Thomas Pynchon müssen die Entscheidung des Nobel-Komitees als Demütigung empfunden haben.

Immerhin ist jetzt wieder schwarz auf weiß nachzulesen, was Dylan die mit umgerechnet rund 800 000 Euro dotiere Ehrung eingebracht hat: Der Band „Lyrics“ enthält die Texte aller 28 Studio-Alben zwischen 1962 und 2012, dazu Songs aus dem Umfeld. Übersetzt, und zwar manchmal allzu wörtlich, hat sie der kundige Gisbert Haefs, der gewiss auch zu freieren, sinngemäßeren Übertragungen in der Lage gewesen wäre; allein das hat das Dylan-Management ebenso verboten wie Anmerkungen zu Anspielungen und Zitaten – Dichter-Attitüde kann Dylan allemal.

Vielleicht gibt es ja noch ein Konzert

Das Nobel-Komitee stellte in Aussicht, dass sich Dylan die Preisurkunde bis zum Frühjahr abholen könnte; statt der üblichen Nobel-Vorlesung, kam man ihm weiter entgegen, dürfe es auch mit einem Konzert sein.

Und einer hat sich bei Wachteln mit schwarzem Knoblauch und konservierten Waldpilzen doch mächtig geärgert, dass der Preisträger nicht kam: Michael Kosterlitz, einer der diesjährigen Physik-Preisträger: Er ist ein riesiger Dylan-Fan. Aber vielleicht erscheint „His Bobness“ ja mal bei einem der alljährlichen Preisträger-Treffen.

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Bob Dylan: Lyrics 1962-2012. Sämtliche Songtexte. Deutsch von Gisbert Haefs. Hoffmann & Campe, 1280 S., 69 €.

Ebenfalls als zweisprachige Neuausgabe: der surreale Romanversuch „Tarantel“. Aus dem Engl. von Carl Weissner. Hoffmann & Campe, 384 S., 22 €.