Essen. Suzanne Collins erzählt in „Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange“ von der Jugend eines späteren Bösewichts: Coriolanus Snow.
Wer hätte gedacht, dass ein Diktator einem mal ans Herz wachsen könnte? Aber genauso ergeht es dem Leser, wenn er die ersten Seiten des neuen Romans der US-Amerikanerin Suzanne Collins liest.
Eigentlich war ihre Trilogie „Die Tribute von Panem“ längst zu Ende erzählt. Aber die Reihe war anscheinend zu erfolgreich, um aufzuhören: Die Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises ehrte den ersten Band als bestes Buch des Jahres 2010. Laut des Verlages Oetinger wurden weltweit über 100 Millionen Exemplare verkauft. Und dann gab es ja auch noch die vier (!) Filme zu den drei Büchern mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle der Katniss Everdeen. Also führt die Autorin nun noch einmal nach Panem – allerdings 64 Jahre, bevor der erste Band beginnt.
Coriolanus Snow ist erst 18 Jahre alt – und ein kleiner Held mit Gewissen
Wieder startet die Zeit der Hungerspiele, wieder werden aus den zwölf besiegten Distrikten zwölf Mädchen und zwölf Jungen ausgewählt, die sich in der Arena des Kapitols bis aufs Blut bekämpfen sollen. Dieses Mal schildert die Autorin die brutalen Kämpfe jedoch nicht aus der Sicht eines Mädchens in der Arena, sondern aus der eines Mentors: Coriolanus Snow.
Es ist der 18-jährige, blond gelockte Snow, der einmal der eiskalte Präsident werden wird, den Katniss fürchtet. Doch als junger Mensch ist er alles andere als furchterregend. Im Gegenteil: Er setzt sich für Freunde ein, bezweifelt, dass nur menschenunwürdige Hungerspiele Rebellion und Krieg verhindern können. Ein kleiner Held, der seinem Gewissen gehorcht. Und dann verliebt er sich auch noch in seinen Schützling in der Arena – das Mädchen aus Distrikt 12.
Suzanne Collins hat für „Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange“ die gleichen Zutaten wie in ihrer erfolgreichen Dystopie-Reihe zusammengerührt: Spannung, Gesellschaftskritik, dazu ein scheuer Flirt. . . Aber das Ergebnis schmeckt fad, aufgewärmt.
Das von Jennifer Lawrence gesungene Lied „The Hanging Tree“ war ein Hit
Die Figuren sind nicht die vertrauten, mit denen man sich über drei Bücher identifizieren konnte. Lediglich der Rahmen der Handlung ist der gleiche. Das Mädchen Lucy Gray Baird in der Arena– wieder aus Distrikt 12 – ist Katniss zwar ähnlich. Trotzdem wirkt sie blasser.
Sie ist keine Jägerin, die mit Pfeil und Bogen umzugehen weiß. Sie ist eine Sängerin. Ob die Autorin da bereits an die Verfilmung gedacht hat? Schließlich war das von Jennifer Lawrence gesungene Lied „The Hanging Tree“ ein Hit. Die Entstehungsgeschichte dieses Songs wird im neuen Buch erzählt. Dazu kommen weitere Liedtexte, die einen den Kopf schütteln lassen, was allerdings auch an der Übersetzung liegen mag: „Mein Herz ist gehüpft, so wie ein Hase. Rast noch jetzt so, doch nicht vor Ekstase.“
Am stärksten ist noch das letzte Drittel des Buches, wenn Snow zu dem Menschen wird, den die Panem-Fans kennen: einem rosenliebenden Diktator, der glaubt, im Recht zu sein, dass nur mit massiver Kontrolle und geschürter Angst das Chaos verhindert werden kann. Die Autorin lässt den Leser spüren, dass Snow nicht nur Opfer der Umstände und Manipulationen ist. Ob jemand böse wird, ist auch immer das Ergebnis eigener Entscheidungen.
Suzanne Collins: Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange, Oetinger, 608 Seiten, 26 €, ab 14