Essen. Karosh Taha legt mit „Im Bauch der Königin“ nach ihrem Debüt mit „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ ihren zweiten Roman vor.

Jede Geschichte hat zwei Seiten, selten aber wurde diese schlichte Wahrheit so konsequent in Literatur gegossen wie in Karosh Tahas zweitem Roman „Im Bauch der Königin“: Dieser hat sein Cover auf der Vorder- und der Rückseite und lässt zwei Erzählungen parallel laufen, die fast den gleichen Ausgangspunkt haben, schließlich aber aufgrund kleinster Abweichungen einen ganz unterschiedlichen Ausgang finden werden.

Soviel zur Theorie dieses Biografie­spiels. Karosh Taha gelingt es, die Konstruktion im Erzählen vergessen zu machen, so satt und schillernd leuchten ihre Sätze. Die kurdische Autorin, 1987 in Zaxo im Nordirak geboren, kam 1997 mit ihren Eltern ins Ruhrgebiet, und wie schon im Debüt „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ geht es einmal mehr um das Leben in und mit zwei Kulturen, die Zerrissenheit zwischen zwei Welten – den zwei vorstellbaren Varianten des Lebens, mit denen vor allem die ausgewanderte Elterngeneration hadert.

In Kreuzberg Shisha rauchen

Im Viertel leben Younes, Raffiq und Amal und die anderen: Younes‘ alleinerziehende Mutter Shahira, heimliches Zentrum in aller Leben, ist immer eine sinnenfrohe Verlockung im allzu kurzen Rock, derentwegen Younes sich schämt; sein Leben ist reine Reaktion, denkt Raffiq. In seinem Part, seiner Variante der Geschichte ist Raffiq Younes‘ bester Freund, und Younes, der als Kind geärgert wurde, ist längst zu breitschultrig, zu mächtig in der Clique, um noch ausgegrenzt zu werden. Das Abitur feiern sie mit einer Party am See, träumen vom Reisen, wollen „in Kreuzberg Shisha rauchen, und den Sommer sollten wir in Havanna verbringen – mich schaudert es vor so viel Glück. Jenny hat eine Shisha mitgebracht, die wir rauchen, und niemand kann uns was, wir sind hier, und wir sind laut und essen Sardinen mit Zitrone und Petersilie und Wasabi…“

Raffiqs Freundin Amal wird nach dem Abitur als Au-pair nach Chicago gehen, er selbst ist orientierungslos: Der Vater will die Familie überreden, zurück in den Irak zu gehen, dort wäre er Architekt und nicht Lagerarbeiter, er träumt von einem Büro im gläsernen Hochhaus. Vielleicht begleitet Raffiq besser Younes nach Frankfurt, der dort endlich seinen Vater kennenlernen will?

Prügelndes „Mogli-Mädchen“

Wenn aber Amal erzählt, befinden wir uns plötzlich in einer Parallelwelt. In dieser Variante ist sie das „Mogli-Mädchen“, plötzlich sind ihre Haare kurz, sie prügelt sich mit den Jungs und ist Younes‘ beste Freundin: Zu zweit verteidigen sie sich gegen Raffiqs Clique, bei der Abi-Party muss gar nicht die Polizei kommen. In dieser Variante ist Amals Vater nicht nur „die meiste Zeit“ nicht da, sondern für immer fort: Er ist zurückgegangen in die alte Heimat, ist Architekt geworden, hat eine neue Familie gegründet.

Geschickt spiegelt Karosh Taha hier Lebensläufe, biografische Bruchstellen: Nun ist es Amal, nicht Younes, die die neue Familie ihres Vaters besucht, die erneut zurückgewiesen, zurückgestoßen wird. Immer aber ist Shahira – Shahira. Nämlich: „ein Geist, der Younes umspielt und ständig mit uns ist, ohne dabei zu sein, als wären wir gefangen in ihrem Bauch“.

Karosh Taha: Im Bauch der Königin. Dumont, 250 S., 22 €.