Essen/Mönchengladbach. Er gilt als Verwalter knapper Kassen: Christian Tombeil, der künftige Intendant des Essener Schauspiels, ist als Regisseur weniger überzeugend. Essen wird Kulturhauptstadt und kürzt da, wo man vorher auch nicht viel ausgegeben hat.

„Theater im Nordpark” heißt der Ort der Kunst in Mönchengladbach, und genauso sieht er aus: praktisch; mit dem schläfrigen Charme einer Mehrzweckhalle. Dazu kann der Intendant nichts.

„Der Untergang des Hauses Usher” steht hier auf dem Programm, eine Oper von Philip Glass. Minimal Music aus dem Jahr 1987: Sie trauen sich was am Niederrhein. Die Zahl der Mitwirkenden macht das Werk attraktiv für die Provinz, 12 Musiker, fünf Sänger; zwei Tänzer haben sie hinzugefügt.

Zur Premiere hat sich ein Häuflein von Opernfreunden in der halbvollen, also halbleeren Halle versammelt. Nicht lange, da wird eine Leiche aus dem Saal getragen: Madeline, die Vorletzte der Usher.

Es ist eine faszinierende Geschichte, erzählt mit beklemmend schöner Musik. Philip Glass trifft Edgar Allan Poe – eigentlich ist das großartig.

Hier musizieren die Niederrheinischen Sinfoniker sehr anständig und die Sänger geben sich alle Mühe. Die Tänzer, nun ja, tanzen, was man sich so unter Grauen vorstellt, und die Regie beschränkt sich diskret auf Anweisungen zum Händeringen. Isabelle Razawi, untot todessüchtige Madeline, lässt ihren schönen Sopran auf langem „Aaaaa!” klagen, dazu schüttelt sie wallendes Kunsthaar; der Diener ist ein Frankenstein-Verschnitt.

Verwalter knapper Kassen

All das wäre nicht schlimm, hieße der Regisseur nicht Christian Tombeil, und wäre er nicht der künftige Chef des Essener Schauspiels. Das Publikum ist dort aber mehr gewöhnt als schöne Ambition; es hat allerdings auch Erfahrung mit rigorosem Sparwillen.

Denn Essen beherrscht das Lieblingsspiel der Kommunalpolitik perfekt: Gekürzt wird da, wo man auch vorher nicht viel ausgegeben hat. Und so hat Essen, das den Titel „Kulturhauptstadt” wie die Hanseaten den Nerz trägt, nämlich innen, sein Theater einem Mann angetragen, der als Verwalter knapper Kassen gilt. Christian Tombeil, dem Vize-Intendanten und Künstlerischen Betriebsdirektor der Theater-Not-Ehe Krefeld-Mönchengladbach, wurde der Aufstieg ans Theater des Jahres 2007, 2008, 2009 ganz gewiss nicht geboten, weil er „Dido und Aeneas” inszeniert hat.

Die Situation war unerfreulich genug. Ausgerechnet 2010 braucht Essen einen neuen Intendanten; Anselm Weber, der dem Grillo in kürzester Zeit Aufschwung und Ansehen verschafft hat, verlässt den Ort seines Triumphs durchaus im Zorn. Obwohl er aus dem Haus eine erste Adresse in NRW gemacht hat, nickelt die Stadt, honoriert nichts und kürzt so viel wie möglich. Jetzt geht Weber. Nach Bochum.

Essen handelt nur scheinbar praktisch

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Christian Tombeil (44)

Der Oberfranke Christian Tombeil ist als Regisseur und als klassischer Tänzer ausgebildet. Er war Regieassistent bei Ruth Berghaus, Robert Wilson und Achim Freyer und später freier Mitarbeiter für Beleuchtung, Technik und Regie in Stuttgart; von 1994 bis 1997 war er Oberspielleiter am Essener Aalto. Dann wechselte Tombeil an die Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach, die als gelungenes Beispiel für eine Theaterfusion gelten (seit 1950).

Denn am Traditionshaus des Reviers, wo Hans Schalla und Peter Zadek Theatergeschichte geschrieben haben, gibt einer auf, bevor er richtig angefangen hat. Elmar Goerden, ein sensibler Regisseur und Intendant, hielt der allzu oft scharfen, doch nicht immer unberechtigten Kritik nicht stand und kündigte seinen Rückzug für Herbst 2010 an. Bochum hatte ein Problem; es verlagerte sich nach Essen.

Wo Essen scheinbar praktisch denkt, handelt Bochum klug. Man weiß hier, was ein gutes Theater für die Stadt bedeutet; Essen hat das nicht begriffen, obwohl es mit der Aalto-Oper selbst ein glänzendes Aushängeschild hat. Vielleicht glaubt man, das sei genug.

Das Theater braucht aber einen starken Neuanfang schon deshalb, weil die Fusion mit dem von Schließung bedrohten Haus in Oberhausen nicht vom Tisch ist. Auch deshalb könnte sich Tombeil mit seiner einschlägigen Erfahrung empfohlen haben. Dabei muss eine Fusion keine Katastrophe sein; Peter Carp hat in nur einem Jahr das Theater Oberhausen mit bemerkenswerten Regisseuren wieder nach vorn gebracht. Mit demselben Konzept könnte Essen ein souveräner Partner werden. Star-Regisseur David Bösch allerdings verlässt Essen im nächsten Jahr, und die grandiose Sarah Victoria Frick ist auch schon weg – sie spielt jetzt bei Matthias Hartmann in Wien.