Bochum. Daniel Barenboims Eröffnung des Klavierfestivals Ruhr in Bochum wurde zum wehmütigen Abend der Nostalgie. Und der Hommage an Menahem Pressler.
Wenn Daniel Barenboim den zweiten Satz von Beethovens Klaviersonate op. 90 spielt, diese „sehr singbar“ vorzutragende Musik, dann scheint sich der Pianist fernen Erinnerungen hinzugeben. Er nutzt den Moment einer kurzen Verzögerung, um ins Tempo zu finden, die wie ein Innehalten wirkt, als wolle er die Bildmacht des längst Vergangenen noch ein wenig ordnen. Oder nehmen wir das Largo aus der siebten Sonate: Barenboim kleidet es in dunkle Umhüllung, macht daraus eine von Wehmut durchtränkte Erzählung. Streift damit, nicht wenig introvertiert, die Welt des Sinnierens, die den Titel tragen könnte „Weißt Du noch?“
Es ist ein Rezital aus dem Geiste der Nostalgie, ein Abend des großen Gedenkens, mit dem Barenboim das diesjährige Klavier-Festival Ruhr eröffnet. Alles Poetische ist ja sein Metier, und wenn der Solist den teils rezitativisch gehaltenen Mittelsatz der „Waldstein“-Sonate wie eine Meditation zelebriert und das nahtlos sich anfügende Rondo zunächst pure Entspannung signalisiert, wollen wir uns nur noch wohlig seufzend zurücklehnen. Und alter Zeiten gedenken.
Das 12-jährige Wunderkind und die „lebende Legende“
Wie eben jetzt das Klavier-Festival im Bochumer Musikzentrum. Hier gilt’s der Kunst der „Lebenden Legenden“, gilt’s der Hommage an Menahem Pressler, der vor allem als Pianist des weltberühmten Beaux Arts Trios, aber auch als Solist bis heute Bewunderung genießt. Er sollte diesen Abend eigentlich gestalten, doch eine Krankheit zwang ihn, den 95-Jährigen, das Konzert abzusagen. Barenboim übernahm, nicht zuletzt aus uralter Verbundenheit heraus: als 12-jähriges pianistisches Wunderkind musizierte er erstmals gemeinsam mit Pressler.
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Und dieses Wunderkind entwickelte sich über die Jahre selbst zu einem herausragenden Vertreter seines Fachs, bis Mitte der 60er-Jahre seine Karriere als Dirigent begann. Erst 40 Jahre später fand er zum Klavier zurück. Doch sein Zeitplan ist nach wie vor eng. Da fehlt es oft an Möglichkeiten, konzentriert zu üben. Und so ist sein Bochumer Konzert nicht zuletzt eine Erinnerung an die eigenen, glanzvollen Pianistenzeiten, freilich mit der schmerzhaften Tatsache garniert, dass inzwischen die souveräne Virtuosität hier und da ein wenig wegbröselt.
Beethovens revolutionäre Kraft auf Sparflamme
Barenboim spielt auf seinem eigenen Flügel, dessen dunkler Grundklang, verbunden mit reichhaltigem Pedalgebrauch, uns hinlenkt aufs poetisch Grüblerische. Uns aber auch ein wenig einlullt, weil die messerscharfe Brillanz im Diskant fehlt, weil Beethovens revolutionäre Kraft eher auf Sparflamme köchelt. Im Allegro-vivace-Finale des Fantasiesonate op. 27/1 etwa klingt’s bisweilen nach Müh’ und Plag’. Hat Barenboim die schnellen Figurationen erst einmal im Griff, schnurrt die Musik indes zielstrebig dahin.
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Doch das Griffige, gefordert vor allem in den horrend schweren Ecksätzen der „Waldstein-Sonate“, will sich nicht immer einstellen. Im Finale etwa, nach wohlgefälligem Einstieg, stanzt der Pianist manche Akkorde ins Klavier, als wolle er selbst Halt finden im rauschenden Gewoge. Als gelte es, in trotziger Manier den Fingern den rechten Weg durch alle Klüfte zu weisen. Doch dieser Biss im Spiel ist der Not geschuldet.
Gleichwohl, es folgen Ovationen. Das Publikum erweist den alten Zeiten die Ehre.