Essen. Früher zog ein Selbstmord ewige Verdammnis nach sich. Heute wird das christliche Begräbnis nicht mehr verweigert.

Es ist gerade eine Woche her, dass die Nachricht von dem Selbstmord des Fußballers Robert Enke viele Menschen erschütterte. Und es war Bischöfin Margot Käßmann, die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, die die Sprachlosigkeit danach mit einem ökumenischen Gottesdienst durchbrach. Sie fand sehr einfühlsame Worte, mit denen sie Trost gab. In vergangenen Jahrhunderten dagegen wäre so etwas kaum möglich gewesen. Schon früh betrachtete die Kirche Selbstmord als Sünde, als Todsünde, die ewige Verdammnis nach sich zog.

Es war vor allem der Kirchenlehrer Augustinus (354-430), der fand, dass das Gebot ,Du sollst nicht töten' nicht nur für andere gelte, sondern auch für jeden Gläubigen selbst. Er stellte „Selbstmord” auf eine Stufe mit Mord. Die Kirche versagte demjenigen, der selbst aus dem Leben geschieden war, ein Begräbnis; er durfte nicht auf geweihter Erde beigesetzt werden.

Mangel an Psychologie

„Man sah den Selbstmord als ein Zeichen des Unglaubens”, erläutert der katholische Bischof Joachim Wanke aus Erfurt im WAZ-Gespräch. „Das geschah aus Mangel an psychologischer Kenntnis.” Mit der Wende zum neuzeitlichen Denken habe die Kirche ihre Haltung verändert. Auch Wanke hat als Priester Menschen, die ihr Leben selbst beendeten, beerdigt. Statt zu verurteilen, antworte die Kirche heute mit seelsorglichem Beistand, frage, „wie das auch bei Robert Enke geschehen ist: Wie können wir helfen, wie können wir Beistand geben?”

Selbstmord lehne die Kirche nach wie vor ab, auch wenn „wir Verständnis für die individuelle Situation haben”, sagt Wanke. Aus Sicht der Kirche sei das Leben als Gabe zu verstehen. „Wir argumentieren vom Schöpfungsglauben her. Das Leben ist als Geschenk Gottes ein Wert an sich – auch wenn es zeitweise von Verzweiflung und Dunkelheit geprägt sein mag,” sagt der Bischof. „Hier sind wir gefordert, dem Verzweifelnden Halt zu geben und andere Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.”

Auf die Frage nach dem Verhältnis der evangelischen Kirche zum Selbstmord fällt Margot Käßmann eine Szene aus dem Film „Martin Luther”mit Joseph Fiennes ein. Es ist eine bewegende Szene. Darin beerdigt Luther einen Selbstmörder. „Es drückt sehr gut, wie ich meine, aus, was Rechtfertigung aus Gnade bedeutet”, sagt die Bischöfin. „Es ist historisch nicht verbürgt. Dennoch ist es ein gelungenes Symbol, das für die Liebe Gottes steht, ein Symbol für den Satz: Es ist mehr Evangelium da als Gesetz.” Die Bischöfin erinnert an den Judas der Bibel. Er erhängte sich, nachdem er Jesus verraten hatte. Judas werde wegen seines Verrates verurteilt, nicht wegen des Selbstmords, erklärt sie.

Kein Mensch ist so perfekt

Ein Begräbnis ohne kirchlichen Beistand für jemanden, der getan hat, was Robert Enke tat? „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemandem diese letzte Würde versagen könnte”, sagt Margot Käßmann der WAZ. Das Versagen einer christlichen Beerdigung habe ebenso wie die damalige Weigerung, ungetaufte Kinder auf einem Friedhof zu begraben, „mit der Liebe Gottes nicht viel zu tun”. Aber die Bischöfin sagt auch, dass der Selbstmord des Fußballers „ein sehr aggressiver Akt” gewesen sei – gegenüber dem Lokführer, den Rettungskräften, gegenüber der Familie.

Die große öffentliche Trauer sei vielleicht auch ein wenig Trauer darüber, dass niemand, auch kein Fußballer, zu einem Idol aufgebaut werden kann. „Kein Mensch ist so perfekt.”