Bochum. . Johan Simons blickt auf seine bisherige Zeit als Ruhrtriennale-Intendant - und auf das anstehende Festival. Ein Gespräch über die Liebe zur Kunst.

Künstler gehen spät ins Bett, schlafen lange – und haben schlechte Laune, wenn sie zeitig aus dem Haus müssen. So das Klischee. Nicht so bei Johan Simons.

Der Intendant der Ruhrtriennale ist ein Frühaufsteher. Immer gewesen. „Schon als Kind war ich kein Langschläfer“, sagt der Niederländer, als Tobias Appelt ihn an einem frühen Freitagmorgen zum Interview trifft.

Herr Simons, wann ging denn heute Ihr Wecker?

Simons: Ich brauche keinen Wecker, ich werde von selbst wach. Fünf, sechs Stunden Schlaf reichen mir.

Meinen Sie, das hängt damit zusammen, dass sie auf dem Land aufgewachsen sind? Raus aus den Federn, wenn der Hahn kräht?

Ja, schon möglich. Ich bin der Sohn eines Bauern. Und vielleicht wäre ich auch ein Bauer geworden, wenn ich nicht eines Tages durch Zufall in einer Ballettschule gelandet wäre. Als Kind habe ich sehr gerne und sehr viel getanzt. Meinem Vater hat das nicht gefallen. „Was soll das?“, hat er immer gefragt. „Das ist nichts für dich!“

Dann haben Sie das Tanzen aufgegeben.

Ja, aber nicht wegen meines Vaters. Sondern weil ich ein grottenschlechter Balletttänzer war. Später bin ich dann zur Schauspielschule gegangen. Aber ich war auch ein richtig schlechter Schauspieler. Was ich aber gut konnte, war, andere anzuleiten. Deshalb bin ich Regisseur geworden. Es hat aber lange gedauert, bis ich damit erfolgreich wurde.

Aber Sie haben trotzdem durchgehalten.

Das hatte ich schon früh gelernt. Als wir Kinder damals im Dorf Fußball gespielt haben, war ich immer der Letzte, der ins Team gewählt wurde. Mich wollten die anderen höchstens als Balljungen haben. Das waren wichtige Erfahrungen. Denn im Leben ist es sehr, sehr wichtig, verlieren zu können.

Momentan sind Sie eher auf der Gewinner-Seite. Sie sind im dritten Jahr für die Ruhrtriennale verantwortlich. Und das sehr erfolgreich.

Ja, aber ich sehe trotzdem ständig Sachen, bei denen ich denke: Das hätte ich auch besser machen können.

Zum Beispiel?

Vergangenes Jahr habe ich „Die Fremden“ in der Kohlenmischhalle der ehemaligen Zeche Auguste Victoria in Marl gezeigt. Es war ein phänomenaler Spielort, aber es war keine brillante Inszenierung. Nicht wegen der Qualität der Musik oder des Schauspiels – aber wegen meiner Regie. Ich hätte die Geschichte besser erzählen müssen!

Die Kritiker haben das Stück dennoch gelobt.

Mein größter Kritiker bin ich selbst. Und wenn ich das nicht wäre, hätte ich schon mit 20 Jahren aufhören müssen.

Sie haben aber weitergemacht, und Sie sind jüngst 70 Jahre alt geworden. Manch einer würde sagen, jetzt ist mal langsam Zeit für den Ruhestand.

Ich war neulich beim Arzt, und der hat einen Gesundheits-Check gemacht. Es hat sich gezeigt: Ich bin topfit.

Wie machen Sie das?

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Ich laufe immer sehr schnell. (lacht) Ich renne zwar nicht, trödle aber auch nicht herum. Schnelles Gehen, ein gutes Tempo! Das ist gut für den Körper. Und die Zweisprachigkeit hilft mir, dass ich im Kopf fit bleibe. Davor habe ich übrigens am meisten Angst – dass ich eines Tages den Draht im Kopf verliere. Aber noch ist es nicht so weit.

Auch mit der Ruhrtriennale wollen Sie bei den Menschen etwas in den Köpfen auslösen.

Das ist ja der Auftrag der Kunst – den Leuten nicht nur die Schönheit zu zeigen, sondern sie zum Denken anzuregen.

Im vergangenen Jahr drehte sich bei der Ruhrtriennale alles um europäische Werte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Unsere Werte stehen sehr unter Druck. Europa ist sehr vielfältig. Das war es schon immer. Doch besonders heute wird diese Vielfalt oft als Problem angesehen. Dabei ist sie eigentlich ein großer Reichtum – und nichts, das uns überfordern sollte.

Für dieses Jahr haben Sie die drei markanten Begriffe „Freude“, „schöner“ und „Götterfunken“ über die Ruhrtriennale gestellt.

Wir wollen damit Fragen stellen. Nehmen wir den Begriff „Freude“. Kennen wir sie noch, die Freude, die Schiller in seiner Ode „An die Freude“ gemeint hat? Spüren alle Menschen die Freude so, wie ich sie spüre? Und gibt es nicht sogar viele Menschen, für die meine Freude im Umkehrschluss Leid bedeutet? Wir hier im reichen Westen können uns dieser Erkenntnis nicht mehr verschließen. Und gleichzeitig geraten unsere Vorstellungen davon, wie ein demokratisches und liberales Zusammenleben aussehen sollte, auch innerhalb unserer westlichen Gesellschaften unter Druck.

Sie sagten, dass Sie den Eindruck haben, die Welt drehe sich heute schneller als jemals zuvor.

Wir wollten in diesem Jahr den inhaltlichen Schwerpunkt eigentlich auf Utopien legen. Aber was vor drei Jahren noch utopisch erschien, ist heute schon Realität geworden. Manchmal könnte man den Eindruck bekommen, alles ginge den Bach runter. Dann ist es wichtig, dass da etwas ist, das uns Halt gibt und Anregung, weiterzumachen oder neu zu denken. Das kann die Kunst leisten. Ich finde, das ist eine große Qualität des Theaters.

Und dieses Theater möchten Sie auch mit Menschen füllen, die für gewöhnlich wenig mit Kultur am Hut haben.

Das ist mein Ziel, ja.

Klappt es?

Es klappt nie. (lacht) Aber ich versuche es natürlich trotzdem. Manchmal gelingt es nämlich doch, zum Beispiel im vergangenen Jahr bei „Urban Prayers Ruhr“, das in unterschiedlichen Gemeinden gespielt hat. Da habe ich einen tollen Austausch zwischen Menschen verschiedener Glaubensrichtungen beobachtet. Ich denke, das hat wirklich viel gebracht.

Und sonst?

Mit „Ritournelle“ haben wir innerhalb der Ruhrtriennale ein Festival für elektronische Musik geschaffen – eine große Party! Außerdem haben wir Programmpunkte, die aus der Reihe fallen. Letztes Jahr war die Doom-Metal-Band „Sunn O)))“ bei uns. Da bin ich zum Konzert gegangen, und es war so unfassbar dröhnend... das habe ich nicht lange durchgehalten. Aber auch dafür gibt es ein Publikum.

Für viele Menschen hingegen dürfte auch wieder das Kunstdorf vor der Jahrhunderthalle interessant sein.

Natürlich. In diesem Jahr sind alle Veranstaltungen in unserem Festivalzentrum gratis. Und es liegt sehr günstig. Oft kommen Radfahrer vorbei, steigen ab, schauen sich um – und stoßen so auf das Programm der Ruhrtriennale. Und wenn wir Glück haben, sind die Leute dann so neugierig, dass sie den Mut haben, sich auch mal eine Oper wie „Pelléas et Mélisande“ anzusehen.

Ein frommer Wunsch?

Die Menschen denken oft: „Oh, eine Oper, vier Stunden – schwere Kost!“ Dabei ist bei der Ruhrtriennale alles sehr locker. Die Leute müssen sich nicht einmal in einen Anzug oder ein Kostüm zwängen, wenn sie bei uns eine Oper erleben wollen. Aber man braucht einen langen Atem, wenn man die Leute überzeugen will, mal wieder ins Theater zu gehen. Obwohl, in Deutschland funktioniert das eigentlich richtig gut.

Warum?

Schwierig, zu sagen. Nehmen wir das Bochumer Schauspielhaus, wo ich nach der Ruhrtriennale als Intendant anfangen werde. Dieses Haus gehört zur Stadt einfach dazu. Die Menschen identifizieren sich damit.

Auch der VfL Bochum gehört zur Stadt dazu. Sie sind selbst großer Fußballfan. Ihr Verein ist allerdings Feyenoord Rotterdam...

...und der ist gerade zum ersten Mal seit 18 Jahren Meister geworden. Das hat mich sehr gefreut. Ich bin ja ganz in der Nähe von Rotterdam aufgewachsen.

Was wird denn im Hause Simons mehr gefeiert – eine Meisterschaft oder eine gelungene Premiere bei der Ruhrtriennale?

Eine gelungene Premiere bei der Ruhrtriennale! Was das anbelangt, bin ich doch sehr egoistisch (lacht).