Essen. "Unendlicher Spaß": Am Montag erscheint das Hauptwerk des US-Autors David Foster Wallace auf Deutsch – ein Jahr nach seinem Tod.
Wir können ihn nicht mehr fragen, ob er den Wirbel um sein neues Werk als verachtenswertes Event, als Ausdruck grauenvoller Spaßkultur verstanden hätte. Der US-amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace erhängte sich am 12. September 2008 im Alter von nur 46 Jahren. Wallace hatte unter Depressionen gelitten und an sich selbst, an der Welt, an Langeweile, Überdruss und -fluss – seinen exzessiven Drogen- und Frauenkonsum beendete erst die Begegnung mit seiner späteren Ehefrau Karen, einer Künstlerin.
Karen hatte ihn an seinem Todestag nur für wenige Stunden allein gelassen, um zu einer Vernissage zu fahren. Er hatte ihr versichert, es ginge ihm gut.
Sein Tod bedeutete einen ungeheuren Verlust für die US-Literatur – und für US-Literaten wie Jonathan Frantzen und Don DeLillo, die ihn zu ihren Freunden zählten. Sein 1996 in Amerika veröffentlichtes Hauptwerk „Infinite Jest” machte Wallace schier unsterblich: „Wenn Sie aus diesen Seiten heraustreten, sind Sie ein besserer Mensch”, schrieb Dave Eggers im Vorwort: „Ihr Verstand ist gestärkt, und, was noch wichtiger ist, Ihr Herz ist praller.”
Heute erscheint das Werk, 1547 Seiten stark, auf Deutsch: „Unendlicher Spaß”.
Das Herz: ins Unendliche geweitet
Um es gleich zu sagen: Zum besseren Menschen macht auch diese Lektüre nicht. Aber sie gibt eine Idee davon, wie die optimierte Version des Selbst aussehen könnte: sensibler, mitleidiger, rücksichtsvoller, weicher. Das Herz, tatsächlich: ins Unendliche geweitet.
An der Oberfläche ist Wallace eine halbdunkle Zukunftsvision gelungen: Die USA, Kanada und Mexiko bilden die „Organisation der nordamerikansichen Nationen” – mit der Abkürzung O.N.A.N beginnt Wallace' ureigener Witz bereits, spielt doch die Selbstliebe eine nicht kleine Rolle im Werk. Zwei zentrale Schauplätze sind dicht beieinander liegende und doch ferne Welten: das Drogenentziehungsheim Ennet House sowie die Enfield Tennis Academy. Und die Jahre heißen so wie die Sponsoren, die sie sich kauften – „Jahr der Inkontinenzunterwäsche” etwa. Zur gefühlten Fremdheit trägt Wallace' Wortmacht bei: Gigantische Satzbaukonstruktionen, Wortentdeckungen oder gar Neuerfindungen und eine Stilvarianz von wissenschaftlichen Abhandlungen bis zu umgangssprachlichen Monologen verschlingen sich zu einem zunächst blickdichten Dickicht. Nach einer Weile, einigen hundert Seiten oder so, aber sehen wir: Sehnsucht und Sucht, Liebe und Tod, Lebenslust.
Kiffender Tennisprofi
Wallace schreibt über Menschen, die den Erfolg in greifbarer Nähe sehen – aber nie erreichen. Als Erzähler bespielt der kiffende Tennisprofi Hal Incadenza weite Teile der Tennis-Akademie-Handlung – die exzessiven und ermüdenden Spielbeschreibungen dürften wir Wallace' Liebe zum Spiel verdanken; Roger Federer verehrte er geradezu. Viele Erinnerungen Hals drehen sich um seinen Vater als Regisseur merkwürdiger Filme, deren exzessive und ermüdende Skripte wir leider lesen müssen. Einer jener Filme heißt: „Unendlicher Spaß”. Er fesselt seine Zuschauer derart, dass sie ihn anschauen müssen, wieder und wieder, bis sie verhungern, verdursten. Das Ende aller Kommunikation.
Wallace' Zukunftsvisionen äußern umfassende Gegenwartskritik. Die Sucht nach Drogen setzt er gleich mit der Sucht nach Unterhaltung, beide führen zum tödlichen Horrortrip. Doch er fühlt mit den Menschen: Zu einer der anrührendsten Stellen zählt der Bericht einer Heimpatientin nach ihrem Suizidversuch: „Ich wollte mir nicht unbedingt wehtun. Oder mich irgendwie bestrafen. Ich hasse mich nicht. Ich wollte bloß raus.” Sie litt an Depressionen.
Einige Zeit vor seinem Tod hatte David Forster Wallace die Medikamente gegen die Depression abgesetzt: Sie machten ihn gefühllos, glaubte er, sodass er nicht schreiben könne.
David Foster Wallace: Unendlicher Spaß. Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach. Kiepenheuer & Witsch, 1547 Seiten, 39,95 Euro