Essen. Kanzler und Kunst (II): Wie Helmut Schmidt den Klassik-Markt politisierte, Helmut Kohl ein Museum und Gerhard Schröder einen Kulturstaatsminister erfand.
Was bisher geschah: Adenauer lauschte gern Schubert, Brandt eher Heino, Kiesinger dichtete, Erhard war architektonisch erz-unkonservativ. Zweiter Teil der Übersicht „Kanzler und Kunst”.
Helmut Schmidt Kanzler von 1974-1982
Sein Haus ist voller Bilder. Und an seinem Raum im Kanzleramt hat er das Schild „Bundeskanzler” gegen eins mit der Anschrift „Nolde-Zimmer” austauschen lassen. So sehr Helmut Schmidt als kantiger Hardliner gefürchtet ist, so wichtig ist ihm das Musische. Mal ganz oben (Schmidt verehrt Bach), mal volkstümlich (Schmidt erfand als Verteidigungsminister die Big Band der Bundeswehr).
Henry Moores „Large Two Forms” holte Schmidt vors Kanzleramt und nahm als Pianist Klassikplatten mit Justus Frantz und Christoph Eschenbach auf. Bei den Künstlern dürfte er aber aus anderen Gründen in Erinnerung bleiben. Unter Schmidts Kanzlerschaft ist die Künstlerversicherung installiert worden. Erstmals konnten freiberuflich schaffende Künstler der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung beitreten. Sitz der Versicherung wurde Wilhelmshaven, Wahlkreis von Schmidts Sozialminister.
Helmut Kohl Kanzler von 1982-1998
In dieser langen Kanzlerschaft ist das Kunstkapitel kurz. Künstler, die ihn umgeben, sind kaum bekannt. Als Hunderttausende zu Christos verhülltem Reichstag pilgern, hält Kohl sich fern, findet das „PR”. In seiner wenigen Freizeit wandert er lieber, als in Bayreuth zu sitzen. Immerhin verdankt die Republik ihm ihr Museum: Der Kanzler erfindet das Bonner „Haus der Geschichte”. Auf die Frage nach Musik, die ihm gut tue, antwortete Kohl einmal, es gebe Situationen, in denen er viel mit Hans Albers anfangen könne. Die jährliche Münsteraner Ausstellung „Kunst trifft Kohl” bezieht sich nicht auf ihn.
Gerhard Schröder Kanzler von 1998-2005
Gerhard Schröder hat den Kulturstaatsminister erfunden. Er hat die Nähe von Malern, Schauspielern, Intellektuellen gesucht. Es passte ins Bild seiner Gegner, dass diese Begegnungen meist durchgestylte Veranstaltungen waren. Der bedeutende Maler Lüpertz wird sein Wahlhelfer. Die lichtdurchflutete Sky Lobby des Kanzleramts macht Schröder zur „Galerie der Gegenwart”. Ab und an geht er ins Berliner Ensemble. Feinde sehen ihn eher auf dem Opernball als im Opernhaus. Gerhard Schröders Lieblingsmusik machen die „Scorpions”.
Angela Merkel Kanzlerin seit 2005
Ob es ihrer Biografie geschuldet ist? Angela Merkel verteidigt die Freiheit der Kunst. Als man die umstrittene Berliner „Idomeneo”-Inszenierung vom Spielplan entfernen will, nennt sie das unerträgliche Selbstzensur.
Oper hat es bei der Kanzlerin gut. Schon zu ihrer Zeit als Generalsekretärin ist der Bayreuth-Besuch gesetzt. Seither ist Merkel Jahr für Jahr dabei. 2008 nach der Eröffnungspremiere war sie eine ganze Woche auf dem Hügel: in ihrem Urlaub. Sie liebt Wagner. Und Gustav Mahler. In leichtfüßigeren Stunden leiht die Kanzlerin den Beatles ihr Ohr.
Im politischen Alltag freilich scheint die Kultur für Merkel keine allzu elementare Bedeutung zu haben. Ihren eher präsidialen Führungsstil möchten Feuilletonisten vielleicht mit Wagners Wotan vergleichen: „Zu schauen kam ich, nicht zu schaffen”.
Filmkunst? Fehlanzeige. Merkels Lieblingsstreifen ist „Jenseits von Afrika”.