Essen. Willy Brand hörte gerne Heino, Kurt Georg Kiesinger ging unter die Dichter - Nicht wahlentscheidend, aber aufschlussreich: Deutsche Regierungs-Chefs und die Musen – ein Überblick. Teil I

Mit Kunst lassen sich keine Wahlen gewinnen. Aber ganz ohne steht der Staatsmann dann doch als Banause da. Die Kanzler der Bundesrepublik, sie pflegten durchaus keinen einheitlichen Stil im Umgang mit den Musen. Mal musste es Vivaldi sein, dann wieder genügte Heino zum Regieren. Kanzler und Kunst. Eine kleine Übersicht.

Konrad Adenauer (CDU) - Kanzler von 1949-1963

Adenauers Kulturverständnis ließe sich vielleicht am besten mit dem 1957er Slogan seiner Partei umschreiben: „Keine Experimente!” Der Rheinländer, der Politik und Kunst kaum vereinbar fand, schätzte das Goldene Zeitalter, die Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts. Hört er Musik, zählt sie neben einer Schwäche für Männerchöre („Dat sind noch Leute mit Jemüt!”) zum klassischen Kanon: Haydn findet er „erfrischend wie ein Glas Wasser”, dazu kommen Vivaldi, Beethoven und gerne auch ein Schubert-Lied – „wenn et jut jesungen is.”

Ein Jahr vor seinem Tod porträtiert ihn der Spätexpressionist Oskar Kokoschka. Die Adenauer-Sicht des 80-jährigen Malers blieb dem 90-jährigen Altkanzler fremd: „Der kann nicht mehr richtig sehen.“

Ludwig Erhard (CDU) - Kanzler von 1963-1966

Der unterschätzte unter der Kunst-Kanzlern. Ließen doch dumpfe Rhetorik und biederes Auftreten kaum Raum für das Bild eines Mannes, der Fortschritt auch in der Kunst akzeptiert. Maler und Musiker bittet er in seiner kurzen Amtszeit zum Gespräch.

Doch als er der Moderne mit dem kühlen, glasdominierten Kanzlerbungalow des Architekten Sepp Ruf Tür und Tor öffnet, ist sein Volk bestürzt. Man vermisst an der Bauhaus-Bude das Staatstragende. Verscherzt hat es sich Erhard dann noch bei den Autoren, als er über sie sprach: „Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an.“ Martin Walser entgegnete „Da hört der Kanzler auf, da fängt der Erhard an.“

Kurt Georg Kiesinger (CDU) - Kanzler von 1966-1969

Kanzler oder Dichter? Kurt Georg Kiesinger hatte als junger Mann Poet werden wollen, geriet aber unter das Rad der Geschichte, als APO wichtiger war als Anakreontik. Kiesinger hatte in den 1920ern Gedichte geschrieben. Noch als Ministerpräsident testet er das lyrische Wissen enger Mitarbeiter: Wer Hölderlin oder Mörike nicht kennt, hat es schwer. Den Kanzler der Großen Koalition nennen sie „Häuptling Silberzunge”. Die Prosa der Tagespolitik macht es ihm nicht leicht.

Etwas dichtender Kiesinger gefällig? „Plötzlich, zwischen Mauerklüften, glänzt die sommerliche Breite: Wald und Feld und zart in Lüften, ganz in wunderferner Weite, blaue, blaue Berge..” Nachhaltiger in Erinnerung blieb der kulturvolle und doch glücklose Kanzler wegen der Ohrfeige, die Beate Klarsfeld ihm für seine Nazi-Vergangenheit gab.

Willy Brandt (SPD) - Kanzler von 1969-1974

Bemerkenswerte Zeitenwende: Eher sehen die Künstler ihn als Chance, als er die Künstler. Ein ganzes Heer von Kunstschaffenden und Intellektuellen projiziert auf Willy Brandt die Hoffnung auf eine Republik, in der die Kunst politisch wirksam ist. Ganz vorne bei den „Willy, Willy”-Rufern ist Günter Grass – mit eigenem Wahlkampf-Bus und regelmäßiger Zuarbeit für Brandts berühmte Reden. Dabei galt der Kanzler der Ostpolitik als wenig interessiert an Kunst. Brandts Vater hat in Lübecks Mengstraße gewohnt, wo einst Thomas Manns „Buddenbrooks” zuhause waren. Willy Brandts Musikgeschmack darf man getrost volksnah nennen: Er hörte gern Heino.

Wie Helmut Schmidt die Big Band staatstragend machte und Helmut Kohl ein Museum erfand – den zweiten Teil „Kanzler und Kunst” lesen Sie in der nächsten Woche