Essen. Er ist seine eigene Parallelwelt, eitel, rechthaberisch, sensibel, wunderbar - Der (hin und her) gerissene Schriftsteller Maxim Biller beschreibt sein Leben, als wäre es ein Roman. "Der gebrauchte Jude" begibt sich in ein Finsterland, das nie mit der Vergangenheit brach.
Er ist eitel, rechthaberisch und sonnt sich im Glanze großer Namen, so fern sie ihm auch sein mögen: „Ich saß im August in der leeren Maximilianstraße draußen im Schumann's und George Tabori hinkte vorbei” – so der Stil. Furchtbar. Wunderbar: Er ist sensibel, ein brillanter Schreiber, genauer Beobachter.
Man sollte meinen, all dies Furcht- und Wunderbare reiche zur Polarisation. Maxim Biller aber setzt noch eins drauf. Er ist: Jude. „Ich bin Jude und nichts als Jude, weil ich wie alle Juden nur an mich selbst glaube . . . Ich bin Jude, weil ich kein Russe, Tscheche oder Deutscher sein will.”
Diese Sätze sind die Tür in eine Parallelwelt. Haben wir je geglaubt, Deutschland zu kennen – und zu mögen? Plötzlich befinden wir uns im Finsterland, das mit der Vergangenheit nie brach.
Eingebildet und voller Pläne
Billers Brille macht, dass er die Redaktionskonferenz der „Zeit” ebenso geißeln muss wie die Mit-Juden Reich-Ranicki oder Henryk Broder – letzterer beschrieb die eigene Version der unerfreulichen Begegnung umgehend im „Spiegel”, was in einem Streit um Nuancen kaum zur Erhellung beitrug. Billers böser, beleidigter Blick macht, dass er die Werke Thomas Manns erst liebt und dann hasst, weil in ihnen die Juden „schnell, schmierig, gewissenlos und Demokraten” seien.
Richtet Biller den Blick auf sich selbst, sieht er einen Jungen, geboren 1960 in Prag, seit 1970 in Deutschland unbeheimatet. Die Sommer seiner Jugend verbringt er in Israel, „und wenn ich zurückkam, war ich braungebrannt, eingebildet und voller Pläne”. Das Angebot, für das Magazin „Tempo” nach New York zu gehen, aber schlägt er aus – dummerweise: „Statt in die helle, kosmopolitsche Parallelwelt zwischen East River und Hudson River zu verschwinden, wo mich nie einer fragen würde, warum ich immer anderer Meinung bin und ständig über Sex rede, beschloss ich, gebrauchter Jude in Deutschland zu werden.” Von seiner 100-zeiligen, hasstriefenden „Tempo”-Kolumne distanziert er sich heute. Manchmal.
Biller ist seine eigene Parallelwelt
Die Frage ist – nein, nicht, warum Biller in Deutschland geblieben sei, auch wenn er selbst sich das ständig fragt. Biller hat hier seine Jugend verbracht, diese prägende, trieb- wie wurzelsprießende Zeit (und käme im Ausland, wie alle, in den Verdruss, sich der Heimat nur näher zu fühlen). Die Frage ist: Hat er selbst als junger Schriftsteller das Judesein zum Lebensthema gemacht? Oder weil die Umwelt – Professoren, Kritiker – ihm das nahelegte? Er behauptet das: Sieht sich als jugendlichen Rebell gegen alle(s), der lieber mit dem besten Freund Donny Gold ins Bordell geht, anstatt mit den Frankfurter Juden gegen die Uraufführung des Fassbinder-Stücks „Der Müll, die Stadt und der Tod” zu demonstrieren.
Was denn nun? Das Rätsel bleibt ungelöst, Biller ist ja seine eigene Parallelwelt: „Ich bin Jude, weil ich eines Tages merkte, wie sehr es mir gefällt. die anderen damit zu verwirren, dass ich Jude bin.”
Maxim Biller: Der gebrauchte Jude. Kiepenheuer&Witsch, 176 Seiten, 16,95 Euro