Bochum. . Roths „Hiob“ ist Schullektüre. Eine Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus zeigt mit Kraft und Kreativität seine Zeitlosigkeit.

Als zweite Premiere der neuen Spielzeit gab’s im Schauspielhaus „Hiob“ nach dem Roman von Joseph Roth (Dramatisierung Koen Tachelet). Regisseurin Lisa Nielebock liefert mit ihrer zwischen kühler Abstraktion und hoher Emotionalität angesiedelten Inszenierung einen bewegenden Theaterabend ab, von dem man lange sprechen wird.

„Hiob“ ist aktueller Abitur-Stoff, weshalb die Neu-Einrichtung in Bochum natürlich kein Zufall ist. Es geht um die Geschichte einer ostjüdischen Familie, die in Galizien beginnt und in Amerika endet. Mendel und Deborah Singer haben zwei Söhne und eine Tochter. Das vierte Kind, Menuchim, ist behindert, kann außer „Mama“ kein Wort sprechen. Die Eltern empfinden das als Strafe Gottes. Sie gehen nach Amerika, lassen ihr Kind zurück. In der Fremde merkt Mendel, wie sehr Menuchim und die Heimat ihm fehlen, auch passieren weitere Unglücksfälle. Zuletzt erträgt er sein Unglück nicht mehr und fällt von seinem Glauben ab. Aber wie so oft bei Joseph Roth geschieht doch ein Wunder: Menuchim ist geheilt, und kehrt als gefeierter Musiker zum Vater zurück.

Regie setzt auf das Allgemeingültige des Stoffes

Man könnte das lesen als Parabel aus alter Zeit, aber das tut Lisa Nielebock nicht. Die Regisseurin (*1978) interessiert das Allgemeingültige und das tiefe menschliche Problem, um das es geht: Wie lebt man die Wechselfälle des Lebens, wie nimmt man an, was man nicht annehmen kann oder will?

Die quälende Menschwerdung des Mendel Singer vollzieht sich auf komplett leerer Bühne. Die abschüssige Spielfläche ist Teil eines engen Bühnenkastens, aus dem die Figuren nicht herauskönnen. Sie stehen mit bloßer Seele vor uns, Lebenskrieger ohne Glücksgarantie. Die abstrakte Szenerie verneint alles Folkloristische, mit der das jiddische Schtetl oft behaftet wird.

Ohne Kulisse, kaum Requisiten

Keine Kulisse, so gut wie keine Requisiten, kann das funktionieren? Und wie! Nielebock hat ein Händchen dafür, die Figuren so zu stellen, zu kombinieren, zu verschieben, dass eine große Bewegung spürbar wird, wo sich genau genommen gar nichts bewegt. Inszeniert wird ein Film im Kopf der Zuschauer, dessen schütterer Zauber sich durch die Sprache, das Sprechen entfaltet – und durch die dezente, aber wirkungsvolle Musik. Die laborartige Null-Situation der Bühne fordert von den Schauspielern zu jeder Sekunde präzise Gegenwärtigkeit; das Ensemble nimmt das großartig an. Jana Schulz entwickelt die subtilen Gesten des zuckenden Autisten Menuchim aus einer geradezu verstörenden Körperlichkeit heraus, Michael Schütz war nie besser als hier, als aufbrausender, heulender, am Ende verklärter Mendel. Schulz und Schütz haben die zentralen Rollen, aber das Ensemble (Irene Kugler, Xenia Snagowski, Florian Lange, Damit Avdic, Klaus Weiss) ist der Star dieses großen Abends. Zeitgemäßes Theater „at its best“!