Bochum. Tamás Ascher inszeniert Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ mit der souveränen Bettina Engelhardt als Gutsbesitzerin. Starkes Ensemble, starkes Bühnenbild.

Zum Schluss werden die Türen vernagelt, während draußen die Motorsäge aufheult: Das ist die wohl bekannteste Szene in Anton Tschechows „Der Kirschgarten“, einem der berühmtesten Theaterstücke überhaupt. Am Schauspielhaus Bochum hat Tamás Ascher den Klassiker zum Saisonauftakt auf die Bühne gebracht. Unaufgeregt und mit einem wie es scheint altersmilden Blick auf die Unausweichlichkeit des Vergänglichen.

Das Geld der neuen Zeit triumphiert

Der Kirschgarten ist das Symbol todgeweihter Schönheit, des Absterbens der alten Zeiten. Am Anfang wird nur davon geredet, am Ende ist der Garten verkauft, dazwischen liegt das Stück. Es ist voll gestellt mit Figuren, die leben, ohne sich ihrer selbst gewiss zu sein: Die verschuldete, nicht eben tugendsame Gutsbesitzerin Ranjewskaja (Bettina Engelhardt), der zum Kaufmann emporgestiegene Lopachin (Roland Riebeling), der verbummelte Student Trofimow (Torsten Flassig), die mausgraue Pflegetochter Warja (Kristina Peters), der versoffene Lakai Jascha (Raiko Küster). Mit leeren Reden und Zuschauen verstreicht die Zeit; schließlich ist es amtlich: Das Herrenhaus wird abgerissen, auf dem Areal des Kirschgartens entstehen Ferienwohnungen. Das Geld der neuen Zeit hat triumphiert, so viel ist sicher; der Geist aber wohl nicht: Der neue Besitzer ist ausgerechnet der Bauernsohn Lopachin, der Bücher liest, ohne sie zu verstehen.

Es laufen in „Der Kirschgarten“ zahllose kleine Nebenhandlungen ab, ohne dass eine Klammer oder (politische) Idee alles einschließen würde. Und doch pocht in Tschechows symbolischem Realismus eine starke Lebenskraft. Tamás Aschers Inszenierung erzählt davon. Der Ungar (*1949), der als Tschechow-Experte international Renommee hat, fächert mit Muße die ganze Geschichte auf, ohne sie auseinanderzunehmen. Aktivität und Gefühlsüberschwang werden orchestriert, von melancholisch-trübem Dunst ist nichts zu spüren, vielmehr wird der im Stück versteckte Humor hervorgekitzelt: ein Blumenstrauß, der in der Tür einklemmt, Galoschen, die nicht passen, eine eingeknicktes Bein, das als Sitzgelegenheit dient. Wir sehen, wie ungeschickt die Menschen sind, und wir spüren, dass sie leiden, aber wir lachen doch. Vielleicht aus Mitgefühl, vielleicht aus dem Wissen um die eigene Unzulänglichkeit heraus. Wer täte sich nicht schwer, Überkommenes aufzugeben, auch wenn er sieht, dass es längst überholt ist?

Die Aufführung greift den typischen Tschechow’schen Schwebezustand fließend-ruhig, fast möchte man sagen: routiniert auf. Geboten werden ein großartiges, detailverliebtes Bühnenbild (Zsolt Khell), wie man es heutzutage nur noch selten zu sehen bekommt, eine unaufgeregte Figurenführung, ein Tasten am Abgrund der Zeit ohne verstörenden Blick in die schwindelnde Tiefe. Das alles ist „alte Schule“, aber auf drei Stunden gesehen auch ein bissel lang.

Roland Riebeling als Lopachin – seine bisher beste Rolle in Bochum –, die immer souveräne Bettina Engelhardt als Gutsbesitzerin und Heiner Stadelmann als greiser Diener Firs sind die Exponenten eines gut verzahnten und selbstbewusst aufspielenden Ensembles.