Recklinghausen. . Ruhrfestspiele Recklinghausen: Ivo van Hove beraubt das Sophokles-Drama der tiefgreifenden Gefühle – aber die Französin Juliette Binoche sieht umwerfend aus.
Juliette Binoche sieht umwerfend aus, wie sie sich dem Wüstenwind stellt, der an ihrem chicen Outfit zerrt, ihre Haare zerzaust. Nichts wird diese vom Verlust ihrer Familie gezeichnete Antigone abbringen vom Entschluss, ihren Bruder zu bestatten und so ihr Schicksal zu besiegeln. Die Tragödie nimmt ihren Lauf, noch ehe es zum Streit mit König Kreon kommt. Die umjubelte Binoche, der man ihre 51 Jahre nicht glauben mag, ist der Star. Doch auch diese große Darstellerin stößt, wie das exzellente Ensemble, an Grenzen, die durch die Regie gesetzt werden.
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Die Nachrichten vom Selbstmord Antigones, Haimons und Eurydikes sind geschäftsmäßig im Protokoll-Stil übermittelt worden. Akteure und Chor gehen, über Schreibtische gebeugt, in den Standby-Modus, da erklingt Velvet Undergrounds Rockklassiker „Heroine“. Warum plötzlich Emotion, Kraft, Dynamik pur? Das weiß allein Regisseur Ivo van Hove, der am Londoner Barbican Theatre die „Antigone“ des Sophokles in Koproduktion u.a. mit Ruhrfestspielen und Edinburgh Festival eingerichtet hat. Die 140 Minuten zuvor sind das Gegenteil von dynamisch.
Unscharfe Slowmotion-Aufnahmen im Hintergrund zeigen öde Landschaften oder Stadtbilder, führen ins Nirgendwo. Schwarze Ledercouch und Aktenschränkchen machen die Bühne zur coolen Business-Lounge. Wenn hier die Darsteller dem eigenwillig modernen Text folgen müssen (Kreon über Antigone: „this greedy pissing little terrorist“; die deutsche Übertitelung entschärft das), erinnert das über weite Strecken an eine erste Leseprobe. Van Hove fährt Emotionen fast gen Null und reduziert damit den Konflikt zwischen obrigkeitlichem Ordnungsanspruch und sittlicher Verpflichtung auf eine Aktennotiz. Bleibt das Glücksgefühl, Juliette Binoche erlebt zu haben. (Weitere Termine: 23./24. Mai).