Recklinghausen. . Ruhrfestspiele 2015: Kein großartiges Stück, aber was für Schauspieler. So gesehen ist die Aufführung „Ich Ich Ich“ eine Ehrenrettung der anderen Art.

Dass die Ruhrfestspiele nicht mehr das sind, als was sie mal erfunden wurden, ist als Binse schon 20 Jahre wahr. Doch der legendäre Tausch „Kunst gegen Kohle“ ist nur dann historisch, versteht man unter dem zweiten Wörtchen allein fossile Energie. Immerhin als Geld ist Kohle theatertauglich. Aus dem Förderband ist ein Fördererband geworden. Die Sponsorennamen prangen fetter denn je (auf der Eintrittskarten-Rückseite sind sie fünfmal größer als der Stücktitel vorn), während der DGB ungebrochen Gesellschafter ist. Ein Böswilliger, der solche Verschwisterung von Kapital und Arbeitnehmerinteresse ausgerechnet unter dem Dach der Kunst beklagt. So sind die Zeiten. Oder sagen wir nicht besser: So sind die Zeiten immer schon gewesen?

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„Weil Sie in meiner Loge die Neuigkeit erfuhren“, begründet der wohlhabende Dutrecy, dass allein ihm ein lukratives Bauprojekt zustehe, nicht aber seinem Gast im Theater. Sonntagabend fiel der Satz im Festspielhaus von Recklinghausen, aber auf der Bühne. Zu hören ist er in „Ich Ich Ich“, vor 150 Jahren in Paris uraufgeführt.

Bonbonniere voller Bonmots

Sicher sind das lauter Sätze von heute, die Eugène Labiche dem geldgeilen Pariser Bürgertum auf den Leib schrieb: „Sie folgen einem sehr gefährlichen Hang! Dem Hang zur Aufopferung! Der leicht ein Abhang werden kann!“ oder „Das Herz gehört nicht zum Haushalt!“, „Sie sind ein lockerer Vogel; Sie frönen dem Laster der Brüderlichkeit!“ Die reinste Bonmot-Bonbonniere der Börsianer. Aber eine Ansammlung gemeiner Klugheiten gibt noch kein gutes Stück.

Das gilt leider auch für „Ich Ich Ich“. Die sprachlich charmante Raffke-Revue krankt an ausgelaugten Wendungen von Commedia dell’Arte und Molière: alte Geldsäcke, junge Nichten, konkurrierende Jünglinge, verlogene Ärzte...

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Umso mehr gebührt die Palme Martin Kusej, dessen Inszenierung (eine Coproduktion mit Münchens Residenztheater) mitsamt ihren glänzenden Schauspielern dem schwächelnden Schwank enorm aufhilft. Was für ein Ensemble, gipfelnd in einem Duo für die Ewigkeit! Hier der Mittfünfziger Dutrecy, Egoist und Eigenbrötler, bis ins Mark. Dort De la Procheraie, verschlagener Gourmand und Sammler erotischer Kupferstiche. Markus Hering spielt Dutrecy mit sacht verkapptem Dynamit, ein Menschenfeind, den der Trieb einholt, wo doch stets alle Leidenschaft der Rendite galt. Ausgerechnet ihm bietet Oliver Nägeles De La Prochaie hassliebende Allianz. Es kommt herrlich dick: Wie offensiv Nägele sich als leutseliges Fass mit doppelten Böden über die Bühne rollen lässt – wie sie beide sich als verzweifelte Clowns um die Lektüre eines verseuchten Gelbpest-Briefes drücken: köstlich komisch. Jammer küsst Lappen.

Selbst im Rudel einsam

Kusej inszeniert für seine Verhältnisse diskret, maue Momente sind Labiche geschuldet. Umso präziser führt er das Dialog-Skalpell in der Klipp-Klapp-Komödie. Annette Murschetz’ fast nackte Bühne (schwarzweißer Salon, Spiegelkabinett bei der Paarsuche) lässt diese Getriebenen selbst im Rudel einsam erscheinen. Am Ende steht man nicht weniger armreich da als die überrumpelt Liebenden in „Was ihr wollt“.

„Ich Ich Ich“ ist eine Ausgrabung, die nur unter kundigsten Händen glänzt. Es dürfte auch weiterhin nicht häufig der Fall sein.

Freundlicher bis starker Beifall.