Neuss. Schauspieler und Zuschauer beim Neusser Shakespeare-Festival sind begeistert vom runden Theater. Jetzt feiert es seine 25-jährige Erfolgsgeschichte.

Die vier Theaterwochen rund um das Globe, Nachbau eines elisabethanischen Theaters, sind längst eine Erfolgskon­stante europäischer Festivals. Nun wird die Neusser Institution 25. Lars von der Gönna sprach mit dem Neusser Kulturreferenten Rainer Wiertz, künstlerischer Leiter seit Beginn.

In sechs Tagen geht es los. Wie viele Karten sind schon verkauft?

Wiertz: Über 90 Prozent. Es läuft wunderbar. Die Menschen halten dem Festival die Treue.

Dabei war der Anfang kurios: ein überflüssiger Bau der Landesgartenschau Rheda-Wiedenbrück.

Wiertz: Genau. Das stand da schon zwei Jahre auf einer Wiese vor sich hin. Wir hatten damals zu einem Festakt die Bremer Shakespeare Company für eine Freilichtaufführung eingeladen. Und einer von denen sagte: „Mensch, bei euch regnet es doch immer nur, warum kauft Ihr nicht dieses Theater?“

So kam es tatsächlich: Neuss erwarb für 650.000 D-Mark einen Nachbau von Shakespeares Globe-Theatre. Wir haben den ersten Auftritt besagter Company dann gleich „Shakespeare-Festival“ genannt...

...was eine Institution begründete. Liegt das nun eher an Shakespeare oder am Niederrhein?

Wiertz: Ohne dem Niederrhein etwas zu wollen: Das hätte wohl auch im Ruhrgebiet oder in Bayern funktioniert. Shakespeare ist bis heute auf deutschen Theaterbrettern weit vor Goethe und Schiller. Manche halten ihn gar für einen deutschen Autor (lacht). Das liegt an den epochemachenden, wenn auch kastrierten Übersetzungen von Schlegel/Tieck. Da ging den Deutschen das Herz auf mit Shakespeare, und so ist es geblieben. Insofern ist Shakespeare fast ein Deutscher.

Sie holen Shakespeare-Deutungen von Bristol bis Rio nach Neuss. Bleibt es immer Shakespeare?

Wiertz: Ich glaube ja. Auch wenn es uns fasziniert, wie Japaner oder Brasilianer ihre Historie, ihre Mythen in Shakespeare wiederfinden: Die großen Themen bleiben.

Was sind diese Konstanten?

Wiertz: Das Ur-Menschliche: Glücken von Liebe, Missglücken von Liebe. Glücken von Dasein, Missglücken von Dasein. Getreten werden, Herr sein oder Hund. Wir geben es ja nicht zu, aber es ist bis heute alles da, trotz des Regelwerks namens Zivilisation. Das macht Shake­speares Unsterblichkeit.

Ihr Globe-Theater nennen sie selbst einen „Dampfkochtopf“. Bloß wegen der Temperaturen?

Wiertz: Es hat mit der Energie zu tun, die hier entsteht. Kein Zuschauer sitzt weiter weg als zehn Meter. Die Schauspieler haben manchmal eine richtige Schrecksekunde wegen dieser Nähe.

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Das Publikum ist so nah, es verzeiht nichts, aber es liebt dich für alles, was du schön machst. Ich habe kaum einen Schauspieler getroffen, der mir danach nicht gesagt hat: „Das hier war ein unglaubliches Erlebnis.“

Sie haben 25 Jahre lang Inszenierungen aus aller Welt eingeladen. Gibt es Unvergessliches?

Wiertz: Vieles. Aber ich denke an eine Truppe aus Kabul. Dass man in diesem total verwundeten Land eine Komödie spielte, das hat mich angerührt. Aber ich hatte auch Angst: Bei uns durften afghanische Frauen auf der Bühne stehen. Was, wenn das jemand filmt und sie dafür in der Heimat verfolgt werden?

Was erwartet Menschen, die noch nie im Neusser Globe waren?

Wiertz: Ein Ort, an dem man immer Überraschungen erlebt. Und ich sage: Kinder, habt keine Angst, ob Shakespeare auf Koreanisch oder Ungarisch gespielt wird – man kommt schon dahinter.