Bochum. . Mit einem Gaststar besetzt, vom Hausherrn inszeniert – und doch ein fader Abend. Anselm Webers „Der Besuch der alten Dame“ ist kein überragendes Theater.
Eine Stadt verkauft ihr Gewissen. Es ist nun 60 Jahre her, dass Friedrich Dürrenmatt mit seinem „Besuch der alten Dame“ ein theatralisch vielleicht unerreichtes Gleichnis über jedermanns Käuflichkeit geschrieben hat. Gealtert ist der Stoff kein Jota. Belanglos macht ihn freilich Anselm Webers Bochumer Neuinszenierung.
Dürrenmatt hat sein Stück eine „tragische Komödie“ genannt, Weber verfehlt beides, Komödie verwechselt er mit Comedy, und bis zum Abgrund der Tragik schafft es kein Einziger in seinem Ensemble – nicht einmal Mechthild Großmann, Gast an der Königsallee, und natürlich eine Bank auf der Bühne. Großmann bringt viel mit für die Traumrolle Claire Zachanassian: eine vom Schicksal zerschossene erotische Verruchtheit, nicht weniger zwielichtiges Tragödinnen-Appeal. Wie sie wütend bellt, finster gurrt, wie sie noch im steinreichen Welken die Kindfrau mobilisiert: Es könnte in einer guten Inszenierung Ereignis werden.
Webers Fassung nimmt Dürrenmatts Stück die besten Momente
Aber es ist dies keine gute Inszenierung. Sie krankt nicht zuletzt an der Fassung. Weber strafft Dürrenmatt auf pausenlose 100 Minuten. Möglich ist das. Doch in Bochum ist eine einzige Zurichtung des Stückes zu sehen. Eine reiche Alte, die sich an ihrer verschuldeten Heimat rächt und für Millionen ein Menschenleben fordert, das ist angreifbare Kolportage. Es ist erst die Überhöhung ins Monströse, Fantastische, mit der Dürrenmatt das Überzeitliche füttert. Nicht aber Weber: Der Antiken-Chor, dazu grandiose Szenen wie der verlogenen Wald der Dörfler oder die blinden Eunuchen im Gefolge der Rächerin – weg damit.
Stattdessen plumpe Übertragungen, die man einem Oberstufenkurs kaum durchgehen ließe. Im Text: Handys, ICEs, Bio-Milch. Nichts davon hilft. Anämisch, keinen Augenblick von Spannung durchdrungen, spult Weber ab, was Thriller sein könnte. Schließlich nötigt er einem bemitleidenswert mausgrauen Ensemble faden sprachlichen Naturalismus auf, der jene Kontur verwischt, die Dürrenmatts kostbar artifizielle Formeln unverwechselbar prägen.
Jagdsymbolik von Beginn an
Es ist Jagd von Beginn an in Bochum. Alex Harbs rabenschwarze Stierkampf-Bühne ist wuchtig und schön anzusehen. Aber sie nährt (wie die aufdringliche, projizierte und akustische Jäger-Gegenwart) eine Deutung ohne Geheimnis, ohne Zuspitzung. Und so dankbar man registriert, dass Alfred Ill, der Mann den Claire einst liebte, mit Matthias Redlhammer einmal nicht der gedunsene Krämer von der Stange ist, so ist sein müdes, allzu frühes Ergeben ins eigene Menschenopfer, ein Hemmschuh psychologischer Tiefenschärfe.
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Wie überhaupt die Regie von einer gewaltigen dramatischen Skulptur kaum mehr als ein flaches Relief übrig lässt. Da helfen auch Mätzchen nicht, nicht Bürgermeister mit offenem Kuhstall, nicht dumme Schauspieler, die (wie Schweiger) „Til“ genannt werden, nicht Nobelpreisträger, die wie Nick Knatterton ausgestattet sind.
Dürrenmatts „Alte Dame“: Eine Stadt verkauft ihr Gewissen. In Bochum aber verschenkt ein Intendant eine Chance.
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Mechthild Großmann wurde 1948 in Münster geboren. Die Tänzerin und Schauspielerin war schon in der Ära Zadek am Bochumer Schauspielhaus engagiert. In Pina Bauschs Ensemble wurde sie später zur festen Größe. Ein Massenpublikum kennt Großmann seit 2002 als Staatsanwältin Wilhelmine Klemm vom „Tatort“ Münster.
Nächste Termine der „alten Dame“: 3., 12., 15., 16., 31. Mai, 7., 19., 27. Juni. Karten (12-32 €) unter 0234 - 33 33 55 55