Berlin. . Starmusiker Herbert Grönemeyer und Theatermagier Robert Wilson interpretieren Goethes Klassiker am Berliner Ensemble eigenwillig – und überzeugen.

Als wüsste er gar nicht recht, was das ist, ein Mikrofon – so stand Herbert Grönemeyer kurz vor Mitternacht auf der Bühne des Berliner Ensembles, umringt von Faust, Mephisto, Gretchen, von der ganzen Schauspielschar in Glitzerkostümen. Und lieferte dann, mit beinahe trotzigem Gestus, die Show, die das Premierenpublikum nach dieser viereinhalbstündigen Rockoper namens „Faust“ erwartete. Röhrte aus dem Bauch „So seh ich in allen / Die ewige Zier“, ruderte mit den Armen, hüpfte seitwärts mit aus den Fugen geratenen Bewegungen – und kniete tief nieder, mit dem Rücken zum Publikum.

Mächtiger Wumms schon im Foyer

„Es sei, wie es wolle, / Es war doch so schön“ – mit der Zugabe blieb der Refrain das letzte Wort des faustischen Paktes zwischen dem 59-jährigen Starmusiker Grönemeyer und Theatermagier Robert Wilson, und wie in ihrer eigenwilligen Interpretation von Goethes „Faust“ dürfte nicht ganz klar sein, wer hier eigentlich wen verführt hat.

Auch interessant

Sicher ist, dass es beide mit allen Mitteln auf die zarte Publikumsseele abgesehen hatten, die schon im Foyer von mächtigem Wumms hinter verschlossenen Türen aufgeschreckt wurde, und, endlich eingelassen, sich im Angesicht des Vorspiel-Furors zum Platz tastete. Fast hätte man, auf dem Weg zwischen Reihe zehn und fünfzehn, Herbert Grönemeyer umgerannt, der an der Wand lehnte, neugierig und bescheiden lächelnd: Ganz so, als wäre er noch der klavierspielende Abiturient, der von Peter Zadek am Bochumer Schauspielhaus tollkühn in den Stand des musikalischen Leiters erhoben wurde. Und von hier aus eine Karriere begann, die in traumschöner Folgerichtigkeit nun zum Theater zurückfand.

Für Grönemeyer ist dies nach „Leonce und Lena“ 2003 am Schiffbauerdamm die zweite Arbeit mit „Bob“ Wilson. Kennengelernt haben die beiden sich bereits in den 80er-Jahren in Köln – dort stand Grönemeyers 1998 verstorbene Ehefrau Anna Henkel auf der Bühne.

"Jeder Satz ein Porsche"

Die Freude aneinander ist dem Abend anzumerken, nur kippt sie zuweilen ins Selbstreferenzielle. „Jeder Satz ein Porsche“, hat Grönemeyer im Interview über Goethes „Faust“ gesagt, nun fügt er in der Vertonung dieser Porscheturbosätze dem Zitatereigen des „Faust I“ (Textfassung: Jutta Ferbers) einen wilden Tanz musikalischer Zitate hinzu.

Auch interessant

Der „Hier bin ich Mensch“-Jubel kommt als Schlager daher, Bass-Gezupfe unterstützt das Hexeneinmaleins. Und wenn Faust, in Gestalt von gleich vier Schauspielern, auf das dreifache Gretchen trifft, wird dies untermalt von Stepptanz-Slapstick: Vier Fäuste für ein Halleluja, nur ist es hier ein Jodler, ausgestoßen von Mephisto; später schnippst der noch Flamenco-Rhythmen, Teufel auch. Diese bunte Folge wirkt, als hätte jemand „Assoziationen, marsch!“ gerufen: Assoziationsmarschmusik. Und Wilson spendiert dazu Bilder, die sein eigenes Schaffen spiegeln und das kulturelle Gedächtnis bemühen.

Dem Wilden hingeben

Fehlt in diesem ersten, bunt-rockigen Teil die Psychologie, die Einladung zum Empfinden, so spielt dies im zweiten Teil der Tragödie, der vom Einzelnen abrückt, keine Rolle mehr; die Konfliktlinien sind universellerer Natur. Wenngleich sie durch die Musik nicht unbedingt klarer scheinen: Das Publikum soll sich wohl eher dem Wilden, Ungezügelten des Werks hingeben als es intellektuell begreifen.

Trotz einigem nachhallendem Tschingderassa hat Grönemeyer nun doch zurückhaltender komponiert, gibt Stimmen Raum und muss nicht mehr jede Szene mit Streichern unterlegen. Mephisto (Christopher Nell) darf endlich eine Sinnlichkeit ausspielen, die zuvor allein im Hüftevorschieben und Brustzeigen bestand – eine verwirrende, flirrende Sinnlichkeit, die von einer betörend hohen Stimme untermalt wird. Eifersüchtig verfolgt er den Walzer, den Faust (Fabian Stromberger) mit Helena (Anna von Haebler) tanzt; da ist der Roboter-Homunkulus, auch wenn er durch die Stimme von Angela Winkler animiert wird, nur ein schwacher Trost.

„Die Uhr steht still“

Am Ende sitzen Faust und Mephisto Seit’ an Seit’ auf einer Bank, die Arme verschränkt, und beide Häupter ziert ein einzelnes, niedliches Hörnchen. „Die Uhr steht still“, intonieren sie gemeinsam, als wäre dies nun der Moment, der gern verweilen dürfte: Teufelspakt als Eheglück.

Begeisterter Beifall. Es war doch so schön!