Recklinghausen. . Was als „Tête-à-tête“ geplant war, ist durch den Terror vom zum dramatischen Thema geworden. Die Ruhrfestspiele stehen im Zeichen Frankreichs.

Gute Festivals sollen aktuell sein, geplant werden sie (nicht zuletzt prominenter Gäste wegen) freilich von langer Hand. Den Widerspruch hat die Nachrichtenlage für die Ruhrfestspiele 2015 auf brutale Weise gelöst. „Tête-à-tête“ ist das Jahresmotto, Festspiele ganz im Zeichen Frankreichs. Seit „Charlie Hebdo“ hat die Unterzeile freilich mehr Gewicht als der Titel: „Ein dramatisches Rendezvous“.

Natürlich führt das nicht automatisch zu „Wir sind Charlie“-Wochen auf dem Grünen Hügel. Und doch: „Alles, was wir in dieser Spielzeit tun, klingt plötzlich irgendwie anders“. Sagt Frank Hoffmann, nach einer glänzend besuchten Saison als Intendant fester im Sattel denn je, und ergänzt: „Wir werden versuchen, auf unsere Art davon zu erzählen.“

Bewährter Mix aus Startheater und etwas Bühnenzauber

Die Optik des neuen Jahrgangs stammt eindeutig aus leichtfüßigeren Karikaturtagen. Fast putzig klischeehaft wagt da ein Seiltänzer den skizzierten Weg vom Eiffel- zum Förderturm. Derart risikoreich dürfte Weniges auf der Bühne sein. Hoffmanns clever komponierte Melange aus hochkarätig besetztem Startheater und mal zirzensischem, mal Performance-gesättigtem Bühnenzauber hat sich als guter Geist der einst schwächelnden Recklinghäuser Institution bewährt. Dazu künstlerisch Nachrangiges von zugleich gewaltiger Magnetwirkung, etwa ein Kabarettfest im Zelt. Läuft wie geschmiert. Warum also anders?

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Voilà sind damit also Größen wie Ute Lemper, Michel Piccoli, Corinna Harfouch, Claus Peymann und Juliette Binoche gesetzt. La Lemper schaute am gestrigen Mittwoch sogar vorbei, erinnerte („Ein tolles Déjà-vu!“) an ihre fordernden Recklinghäuser Festspieltage bei Maurice Béjart 1991. Nun bringt sie ein Lempersches Gesamtkunstwerk mit: Texte von Paolo Coelho, live gesungen mit lemperscher Weltmusik, „cinematisch“ aufgehübscht von „meinem Freund Volker Schlöndorff“. Man darf gespannt sein, was die Münstersche Duse aus der spirituellen Wellness-Prosa herausmassiert. Ab 9. Mai.

Binoche und Birkin – lauter berühmte Französinnen

Frankreich, was ist das als Motto? Freiheit oder Baguetterie, Sartre oder der eingebildete Kranke? Hoffmann schüttet ein frankophiles Füllhorn aus, geistreichen Boulevard wird es in sich tragen, Klassiker (absurde wie antike) und echte Komödien.

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Die Pariserin Yasmina Reza wird ihr Stück „Bella Figura“ am 28. Mai in Recklinghausen uraufgeführt sehen. Juliette Binoche ist Sophokles’ „Antigone“ (ab 21.5.). Zum Gigantentreffen laden Jane Birkin und der 85-jährige Michel Piccoli mit Texten Serge Gainsbourgs ein (ab 30.5.) Wie nicht wenige Produktionen wird auch diese in Originalsprache gespielt. Aber einen Molière auf Deutsch, das bringt Hoffmann einfach nicht übers Herz und bittet das Publikum inständig, zum „großartigen“ Gastspiel des „eingebildeten Kranken“ zu kommen (ab 15.5.), auf französisch – aber „die Geschichte kennt ja jeder“.

Peymann spielt Peymann

Stars en masse: Burghart Klaußner kommt mit einem hochcharmanten Charles-Trenet-Abend (ab 26.5.), Corinna Harfouch ist in Heiner Müllers „Auftrag“ zu sehen (ab 9.6.). Französische Klassiker-Lesungen locken mit Rufus Beck, Ulrich Matthes, Christian Brückner... Und Claus Peymann spielt Bernhard-Dramolette, die wiederum von Peymann handeln (1. Juni).

Peter Handke („Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“, Thalia Theater) und Friedrich Schiller („Die Jungfrau von Orleans“, Deutsches Theater Berlin), Labiche und Ionesco: Das Frankreich-Bild der Ruhrfestspiele verspricht ein üppig bestücktes, epochenübergreifendes Mosaik zu werden. Selbst das monumentale Festspielhaus bleibt von der Muse des einstigen Erbfeindes nicht ungeküsst: Daniel Buren überschreitet (wie seit 40 Jahren) die Grenzen der Malerei, diesmal an Recklinghausens Cäcilienhöhe: die Glasfassade des Festspielhauses wird farbig.

Horwitz singt Brel - im Park der Festspiele

Das reicht Ihnen alles nicht? Kein Problem. Sowohl „Fringe“, der Ruhrfestspiele freche kleine Schwester, ist 2015 dabei als auch viel Jugendtheater und mit Roger Cicero (13.6.) und Dominique Horwitz (Brel-Abend, 14.6.) saftige Rasen-Mucke im Freien.