Essen. . Obwohl die Datenströme längst digital sausen: Durch „Charlie Hebdo“ werden alte Symbole der Verständigung und Kritik wieder stark: Stift und Papier.

Die erste Auflage des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ nach dem Terroranschlag von Paris wurde den Zeitungsverkäufern aus den Händen gerissen. An den rund 27 000 Verkaufsstellen im Land hieß es nach wenigen Stunden: „Ausverkauft!“. Es wird nachgedruckt, was die Maschinen hergeben, fünf Millionen Exemplare sollen verkauft werden.

Wann hat es das zuletzt gegeben? Die Menschen stehen Schlange vor den Kiosken. Das Symbol, mit dem sie gegen Terror, Fundamentalismus und Fanatismus demonstrieren, ist der Stift. Bei Trauerfeiern und Anti-Pegida-Demos halten die Menschen Kugelschreiber und Papier in die Höhe, Berge von Stiften wurden als stummer Protest in Paris niedergelegt.

Was passiert hier? „Die Ereignisse machen Hoffnung auf eine Zäsur, auf einen Neubeginn, der die demokratischen Werte wie die Meinungs- und Pressefreiheit wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt“, sagt Alexander Filipović, Professor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München. Das Symbol ist der Stift – nicht das Schwert; „er steht für eine kritische Öffentlichkeit und für Wahrheit“, so Filipović.

Protest erinnert an alte Tugend – den schriftlichen Diskurs

Dieser Protest erinnere an die altmodischen Tugenden, im schriftlichen und nachdenklichen Diskurs friedlich die Meinungsunterschiede auszutragen, denn im Internet sind die Dinge ungeordnet, geraten rasch durcheinander, sind die Quellen unübersichtlich. „Es gibt eine neue Sehnsucht nach dem Ideal eines nachdenklichen Journalismus, der sich Zeit nimmt“, glaubt er.

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Stift und ein Blatt Papier werden durch die Reaktion der entrüsteten Menschen zu wiedererstarkten Symbolen für Freiheit, Kritik und Widerstand. Wie lange das vorhält und wie tief das reicht, muss sich noch erweisen. Ist der Protest ein Statement für einen kritischen, furchtlosen Journalismus oder nur eine kurzlebige und plakative Aktion? Das Internet hat die gleiche aufklärerische Aufgabe wie die Printmedien, doch spätestens seit der durch Edward Snowden ins Rollen gebrachten Abhöraffäre haben sich viele Visionen und Hoffnungen erledigt.

Versprechungen des Internets sind unerfüllt

Die Versprechen des Internets – Demokratisierung, soziale Vernetzung, Meinungsfreiheit, grenzlose Kommunikation – haben sich nicht erfüllt, sagte der Blogger Sascha Lobo: „Was so viele für ein Instrument der Freiheit hielten, wird aufs Effektivste für das exakte Gegenteil benutzt“, schrieb er. Damit klagt er die Geheimdienste, die IT-Konzerne und die Regierungen an.

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Vordergründig ist es einerlei, auf welchem Wege die Nachricht in die Öffentlichkeit kommt, sofern sie seriös ist. So gesehen stehen Presse und Internet nicht in Gegnerschaft. Und ja, natürlich: Man kann auf Demos schlecht seine Tastatur oder seinen Twitter-Account hochhalten. Das Netz eignet sich nicht als politisches Symbol, und als Metapher für die Freiheit des Wortes ist es seit Snowden zumindest beschädigt. Dazu mag passen, dass auch bei Jugendlichen nach einer aktuellen Studie die Zeitung die größte Glaubwürdigkeit besitzt, vor Fernsehen und Radio. Am wenigsten Vertrauen bringen die befragten zwölf- bis 19-Jährigen dem Internet entgegen.

„Der Stift, früher die Feder, ist das Symbol der Aufklärung“, sagt der Kulturwissenschaftler Jörn Rüsen. „Er ist spitz, eine scharfe Lanze, mit der man streiten und verletzen kann. Er gehört zu einem nachdenkenden Menschen, der sich an einen anderen richtet.“ Wenn eine Menschenmenge dieses Symbol für ihren Protest wählt, „dann ehrt sie damit zugleich eine Tradition, die für Freiheit, Aufklärung und Humanismus steht“, sagt Rüsen.

Sehnsucht nach Kritik und Aufklärung

In einer Zeit, in der jeder alles zu jeder Zeit verbreiten und sagen kann, ist der ordnende und gewichtende Journalismus wichtiger denn je, ist der Dortmunder Medienwissenschaftler Claus Eurich überzeugt. Er ist sich aber nicht sicher, ob der griffige Protest mit Blatt und Stift tatsächlich eine Sehnsucht nach Kritik und Aufklärung ausdrücken soll. „Wenn es so wäre, wäre es ganz wunderbar“, sagt Eurich. Was ihm indes mit Blick auf die Anschläge in Paris fehle, sei ein Diskurs innerhalb des Islam: der hochgehaltene Stift der Muslime.

Am Samstag soll das neue Heft des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ auch in Deutschland erscheinen. Geplant seien zunächst 10 000 Exemplare, die schnell vergriffen sein werden.

  • Bei eBay werden auf das aktuelle Heft bereits mehr als 200 Euro geboten. Viele Verkaufsstellen in Deutschland weisen darauf hin, dass sie keine Exemplare zurücklegen können.