Essen. Das Grundgesetz immer noch kulturfrei, das Projekt Neubau des Berliner Schlosses ist eine Totalblamage, und beim Urheberrecht warten neue Aufgaben: Die Bilanz der Kulturpolitik der vergangenen vier Jahre ist durchwachsen.
In der Kulturpolitik ist die Große Koalition schon immer am größten gewesen: Wenn es darum geht, die Kultur gegen Kämmerer und andere Zumutungen zu verteidigen, werden Kulturausschüsse reflexartig zur Einheitspartei. Das war in der zurückliegenden Legislaturperiode auch bei der Enquête-Kommission des Bundestags zur Kultur so, die einstimmig gefordert hat, einen Artikel 20b als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen: „Der Staat schützt und fördert die Kultur.”
Dass es dazu nicht gekommen ist, darf als das größte, wenn auch stillste Debakel der Kulturpolitik der letzten vier Jahre bezeichnet werden: Am Ende scherte die Union, deren Mitglieder in der Enquête-Kommission noch dafür waren, wieder aus und verhinderte die Kultur im Grundgesetz.
Mit Kulturausgaben ist kein Haushalt der Welt zu sanieren
Die Minister
Die bisherigen Kulturstaatsminister und ihre Amtszeit: Michael Naumann (SPD, 1998-2001), Julian Nida-Ruemelin (SPD, 2001-2002); Christina Weiss (parteilos, 2002-2005), Bernd Neumann (CDU, seit 2005). Die Behörde im Kanzleramt hat etwa 190 Mitarbeiter.
Die Folgen dieses Rückziehers werden in den nächsten Monaten spürbar: Landauf, landab wird man in Städten und Gemeinden, die fast die Hälfte aller Kulturausgaben tragen, daran gehen, versiegende Steuereinnahmen durch Einsparungen bei der „freiwilligen Leistung” Kultur auszugleichen – obwohl jeder weiß, dass mit dem Minimalbruchteil, den die Kulturausgaben ausmachen, kein Haushalt der Welt zu sanieren ist.
Da ist es nur ein schwacher Trost, dass es Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) gelungen ist, den Kulturetat des Bundes beharrlich zu steigern; der kam in nicht unwesentlichem Ausmaß dem Land Berlin zugute, dem es mehr und mehr gelingt, seine Kulturausgaben auf den Bund abzuwälzen. Profitiert hat auch die Filmbranche, für die sich Neumann ja schon vor seiner Zeit als Kultursachwalter der Kanzlerin eingesetzt hat.
Totalblamage beim Neubau des Berliner Schlosses
Dieses Amt, erstmals 1998 mit Michael Naumann besetzt, hat sich bewährt – in Maßen. Auch einem Kulturstaatsminister Neumann gelang es erst auf den letzten Drücker, seine zuständige Kabinettskollegin, Bundesjustizministerin Zypries (SPD), im Falle des dreist raubkopierenden Internet-Konzerns Google in Marsch zu setzen und gegen dessen Umgang mit den Urheberrechten deutscher Autoren Einspruch zu erheben.
Ebenso wenig hat es Neumann geschafft, die Totalblamage beim Neubau des Berliner Schlosses zu verhindern. Hier murkst zuständigkeitshalber das Ressort seines Kabinettskollegen Wolfgang Tiefensee (SPD) herum: Da war das Architekturbüro von Franco Stella eigentlich viel zu klein, um den Auftrag zu stemmen und am Wettbewerb teilnehmen zu dürfen – und gewann ihn doch; da mussten zusätzlich noch zwei namhafte Architekturbüros engagiert werden, aber das Bundeskartellamt erhob Einspruch gegen die Auftragsvergabe. Schon jetzt zeichnet sich damit ab, dass die kulturbau-notorische Kostensteigerung die ursprünglich angesetzten 552 Millionen immer weiter in Richtung Milliarde galoppieren lassen wird.
Größte Baustelle bleibt das Urheberrecht
Viel schlimmer noch mutet an, dass alles, was bislang an Plänen über die Ausgestaltung des „Humboldt-Forums” im Schloss bekannt wurde, wie eine Mischung aus Sammelsurium und schlechtem Gewissen wirkt: Unter der Chiffre des Multikulturalismus wird dort zusammengestellt, was an Berliner Institutionen eine neue Adresse braucht. Schließlich muss der Eindruck verhindert werden, dass man mit dem Wiederaufbau des Hohenzollern-Schlosses in irgendeiner Weise wieder an preußisch-militärische Obrigkeitsstaat-Traditionen anknüpfen wolle – koste es, was es wolle.
Die größte kulturpolitische Baustelle aber bleibt in der nächsten Legislaturperiode das Urheberrecht. Denn das hat nicht nur kulturelle und rechtliche Sprengkraft, sondern wirtschaftliche: Wenn es der internet-basierten Umsonst-Mentalität gelingt, das seit Goethes Zeiten erkämpfte Copyright zu schleifen, dann wird die Kreativwirtschaft auf keinen grünen Zweig kommen, auch bis 2020 nicht. Dabei wollte Frank-Walter Steinmeiers „Deutschland-Plan” doch auf diesem Sektor eine halbe Million neuer Arbeitsplätze schaffen.